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Thesen zu einer Justizreform
(Ein Diskussionsanstoß des DRB-Präsidiums, DRiZ 1998, 264)

(Die nichtroten Überschriften der folgenden verlinkten Inhaltsangabe stammen nicht vom DRB, sondern vom Homepage-Betreuer)

Aufgaben der Justiz
  1. Streitentscheidung und Strafverfolgung
  2. Institutionen für außergerichtliche Streitbeilegung
  3. keine neuen und keine fremden Aufgaben
Ausstattung und Organisation der Justiz
  4. Budgetantragsrecht
  5. eigene Verantwortung für das eigene Budget
  6. gemeinschaftl. Verwaltung der Gerichtszweige
  7. zu Gerichtsmanager und Controlling
  8. Diverses
Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte
  9. Präsidium entscheidet
10. kein Vorsitzendenquorum im Präsidium
11. Beteiligung der Räte
Verfahrensziel und Rechtsweg
12. Eingangsgericht stärken
13. im Rechtsmittel weniger neue Tatsachen
14. Bundesgerichte nur für Rechtseinheit u. -fortbildg.

Die Justiz steht vor großen Herausforderungen. Einer Vielzahl von Aufgaben stehen jedoch ineffiziente Binnenstrukturen und Ausstattungsmängel gegenüber.

Die Wahrung der unabhängigen Stellung der Justiz als Dritte Staatsgewalt ist unabdingbar für die demokratisch gestaltete Gesellschaft. Abhängigkeiten von Politik und Verwaltung - auch finanzieller Art - sind zu vermeiden. Die Leistungsfähigkeit der Justiz zur Bewältigung ihrer Aufgaben ist im Interesse der Gesellschaft dauerhaft sicherzustellen.

Der Umsetzung dieses Ziels dienen die nachfolgenden Thesen, mit denen die Richtung künftiger Entwicklungen aus der Sicht der Richterschaft gewiesen werden soll.

Aufgaben der Justiz
1.
Die Zuständigkeit der Justiz ist auf die Aufgaben der Streitentscheidung, der Strafverfolgung und der Entscheidung über Freiheitsrechte zu konzentrieren. Aufgaben, die darüber hinausgehen und administrative Funktionen erfüllen, sind aus der Justiz herauszunehmen und zur allgemeinen Verwaltung - mit dem Rechtsweg zum Verwaltungsgericht - zu verlagern oder zu privatisieren. Aufgaben der Rechtsberatung sollen im Hinblick auf andere zur Verfügung stehende Angebote grundsätzlich nicht durch Gerichte wahrgenommen werden.

Exemplarisch seien folgende Bereiche benannt, bei denen eine Aus- oder Verlagerung in Betracht kommt:

Soweit einer Aus- oder Verlagerung - wie derzeit etwa beim Handelsregister - die rechtlichen Auswirkungen der bisher durch die Gerichte vorgenommenen Maßnahmen entgegenstehen, sind die gesetzlichen Grundlagen so zu ändern, daß entsprechende konstitutive Wirkungen entfallen.

2.
Die außergerichtliche Streitbeilegung ist zu fördern, indem Institutionen geschaffen werden, die unter Gewährleistung eines fairen Interessenausgleichs Möglichkeiten zu einer außergerichtlichen Konfliktregelung anbieten, und Anreize zur Nutzung dieser Institutionen - etwa im Gebührenrecht der Rechtsanwälte - geboten werden.

3.
Bei der Schaffung neuer Gesetze ist darauf zu achten, daß diese die Aufgaben der Justiz nicht weiter vermehren, insbesondere der Justiz keine justizfremden Aufgaben zuweisen. Materiellrechtliche Regelungen sollten daraufhin überprüft werden, ob sie justizentlastend reformiert werden können. In den Verfahrensordnungen sollte die Möglichkeit geschaffen werden, außerhalb des Verfahrens erfolgte sachdienliche Tatsachenfeststellungen (z.B. im Rahmen von Schiedsverfahren erstellte Sachverständigengutachten) im Prozeß als Beweismittel zu verwerten.

Ausstattung und Organisation der Justiz
4.
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedarf die Justiz der sachgerechten und zeitgemäßen Ausstattung. Um dies sicherzustellen, ist die Richterschaft bei der Entscheidung über die Zuteilung von Haushaltsmitteln zu beteiligen und ihr ein eigenes Budgetantragsrecht beim Parlament einzuräumen.

5.
Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen über das ihnen zustehende Budget an Sachmitteln und Personalmitteln in eigener Verantwortung verfügen können.

6.
Die verschiedenen Gerichtszweige (Zivilgericht, Strafgericht, Arbeitsgericht, Verwaltungsgericht, Sozialgericht, Finanzgericht) sowie die Staatsanwaltschaft sollen soweit möglich und unter Wahrung ihrer gerichtsverfassungsrechtlichen Selbständigkeit in örtlichen Justizbehörden zu gemeinschaftlicher Verwaltung zusammengefaßt werden. In Entsprechung hierzu sollen in den einzelnen Bundesländern und auf Bundesebene alle Gerichtszweige und Staatsanwaltschaften bei den jeweiligen Justizministerien ressortiert werden.

Endziel soll die Herausbildung nur zweier Gerichtsbarkeiten - neben der Staatsanwaltschaft - sein: einer Zivilgerichtsbarkeit und einer öffentlichrechtlichen Gerichtsbarkeit.

7.
Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sind so zu organisieren, daß sie ihre Aufgaben bei geringstmöglichem Aufwand an Mitteln vollständig und angemessen erfüllen können. Die verwaltungstechnische wie betriebswirtschaftliche Leitung der jeweiligen Behörde soll qualifizierten und dafür ausgebildeten Fachleuten übertragen werden, wobei sich deren Tätigkeit an den Bedürfnissen der richterlichen und staatsanwaltlichen Aufgaben zu orientieren und deren Erfüllung sicherzustellen hat. Die Weisungsbefugnis kommt dem/der jeweiligen Behördenleiter/in zu. Techniken modernen Managements (z.B. Controlling, Audit-Verfahren) sind, soweit es die besondere Stellung der Justiz zuläßt, auch im Rahmen der Justizverwaltung einzusetzen.

8.
Die Zusammenarbeit aller Justizangehörigen soll teamorientiert und mit der Zielsetzung effizienter und bürgerfreundlicher Verfahrensbearbeitung geschehen. Richter/innen und Staatsanwälte/innen sollen im Interesse wirtschaftlicher Betriebsorganisation von allen Tätigkeiten entlastet werden, die nicht zu ihrer eigentlichen Aufgabe der Strafverfolgung und Konfliktentscheidung gehören. Die Übernahme von Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative im Mitarbeiterbereich sowie die wechselseitige Unterstützung und Zuarbeit aller Teammitglieder und das Bewußtsein der Notwendigkeit teamorientierter Zusammenarbeit soll durch geeignete Maßnahmen - auf Mitarbeiterebene auch durch finanzielle Anreize - gefordert werden.

Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte
9.
Über die Verteilung der richterlichen Aufgaben, über diejenigen Maßnahmen, die zur Erfüllung der richterlichen Aufgaben erforderlich sind, und über die Verwendung des Budgets entscheidet das Präsidium eines Gerichts.

10.
Das Präsidium besteht in der wie bisher vorgesehenen Mitgliederzahl aus denjenigen Richter/innen auf Lebenszeit, die bei ihrer Wahl die meisten Stimmen erhalten. Das Vorsitzendenquorum entfällt.

11.
Die Richter/innen und Staatsanwälte/innen sind an allen sie betreffenden Maßnahmen, insbesondere hinsichtlich der Wahrnehmung des Budgetantragsrechts, durch die Richter- und Staatsanwaltsräte bzw. Hauptrichter- und -staatsanwaltsräte auf der jeweiligen Entscheidungsebene zu beteiligen.

Verfahrensziel und Rechtsweg
12.
Anzustreben ist die abschließende Bearbeitung eines gerichtlichen Verfahrens in der Eingangsinstanz. Die Eingangsgerichte sind entsprechend dieser Zielsetzung mit einer ausreichenden Zahl erfahrener und qualifizierter Richter/innen zu besetzen und mit den erforderlichen Sachmitteln zu versehen. Die Richter/innen der Eingangsgerichte sind als Einzelrichter im Beförderungsamt tätig. Die Richter/innen auf Probe beginnen ihre richterliche Tätigkeit bei einem Spruchkörper.

13.
Rechtsmittel sollen grundsätzlich auf die Kontrolle der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt sein und eine erneute Tatsachenfeststellung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulassen. Soweit nochmalige Tatsachenfeststellungen wegen erstinstanzlich begangener entscheidungserheblicher Verfahrensfehler erforderlich werden, erfolgen diese durch das Rechtsmittelgericht. Das Rechtsmittelgericht ist grundsätzlich ein Kollegialorgan.

14.
Die Aufgabe der Bundesgerichte soll ausschließlich in der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung bestehen.