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AsJ-Seminar 20/21.6.98 - Täter, Opfer und Strafjustiz - ein disharmonischer Dreiklang

Arbeitsgruppe 2

 

Das Opfer im Ermittlungsverfahren

- die Berücksichtigung von Opferinteressen während der

polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen

Referat

Prof. Dr. Heribert Ostendorf

1. Die Bezeichnung "Opfer" für den durch eine Straftat Geschädigten, für den durch eine Straftat Verletzten, für den Getöteten hat sich eingebürgert. Opferschutzgesetze, Opferentschädigungsgesetz, Täter-Opfer-Ausgleich lauten dementsprechend die gesetzgeberischen Maßnahmen im Interesse der Geschädigten, der Verletzten. Hierbei bedeutet das Wort "Opfer" mehr als eine Interesseneinbuße, als eine Rechtsgüterverletzung. Mit einem Opfer wurde etwas höheres angestrebt, sollten vormals Götter besänftigt werden. Man opfert sich für etwas, für einen anderen auf oder erleidet ein Leid im Interesse einer großen Sache - Opfer des Faschismus. Soweit der Begriff heute ausgeweitet wird auf Straßenverkehrsopfer, auf Unglücksopfer, bleibt das Unfaßbare, das Unerklärliche. Der Verletzte, der Geschädigte einer Straftat opfert sich nicht auf. Er wird unfreiwillig Opfer. Auch schlägt der Täter nicht zu, raubt nicht aus, um sein Gegenüber zu erhöhen. Er erniedrigt es vielfach, gerade das Sexualopfer. Das Verbrechen ist auch kein Unglück, dafür gibt es Ursachen, Erklärungen. Und trotzdem hat sich der Begriff - wie gesagt - eingebürgert. Wir sollten darüber nachdenken. Wird im Strafrecht mit dieser Bezeichnung höhere Weihen zugesprochen? Wird damit die absolute Straftheorie, die Vergeltung um der Gerechtigkeit willen, indirekt unterstützt? Soll das Strafverfahren ein Opfergang werden, jetzt umgekehrt für den Täter? Forderungen nach Strafverschärfung werden jedenfalls vielfach mit Opferinteressen begründet! Droht auch im Ermittlungsverfahren - unser Thema - mit einer Anhebung der Opferinteressen eine Verschlechterung der Beschuldigtenposition? Ein erweiterter Ausschluß der Öffentlichkeit im Interesse des Verletzten, eine Stärkung der Nebenklage, der Verletztenbeistand vermindern tendenziell die Beschuldigtenposition. Kann es eine Waffengleichheit geben zwischen Beschuldigten und Verletzten? Wer ist die

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Hauptperson im Strafverfahren? Oder gibt es zwei Hauptdarsteller? Droht uns eine Opferhyperthropie, mit der rechtsstaatliche Grundlagen unseres Strafverfahrens unterhöhlt werden? Wir sprechen von Opfern, obwohl auf der anderen Seite die Unschuldsvermutung für den beschuldigten Bürger noch nicht widerlegt ist. Bei Körperverletzungsdelikten ist nicht selten das Opfer aktiver Teil, vielleicht sogar Anstoßgeber für die Auseinandersetzung. Müßten wir nicht bis zur rechtskräftigen Verurteilung auch nur vom vermuteten Opfer sprechen? Hier gibt es rechtsstaatlichen Klärungsbedarf.

Auf der anderen Seite wissen wir, daß in der Praxis der Verletzte, der Geschädigte vielfach nach wie vor stiefmütterlich von den Strafverfolgungsbehörden, von der Strafjustiz behandelt wird. Obwohl der Verletzte, der Geschädigte in der Regel den Anstoß für das Strafverfahren gibt, erfährt er häufig vom Ausgang des Verfahrens nichts. Gem. § 406d Abs. 1 StPO ist dem Verletzten nur auf Antrag der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens mitzuteilen, es sei denn, er hat Anzeige im Sinne § 158 Abs. 1 StPO gestellt (§ 171 StPO). Das Klageerzwingungsverfahren, die Möglichkeit, über eine gerichtliche Entscheidung eine Anklage zu erzwingen, ist durch die restriktive Rechtsprechung, d.h. durch die Überforderung der formalen Voraussetzungen einer solchen Antragstellung, rechtlich denaturiert worden: totes Recht. Die Verweisung auf den Privatklageweg gibt dem Bürger regelmäßig Steine statt Brot. Hierbei ist die vorsätzliche Körperverletzung nach wie vor zu einem Privatklagedelikt herabgestuft, zu einem Delikt, für das das öffentliche Interesse an einer Konfliktregelung erst begründet werden muß. Jeder Ladendiebstahl eines Lippenstiftes, ja eines Lutschbonbons muß auf Antrag des Geschädigten verfolgt weiden. Die materiellen Interessen des Geschädigten, des Verletzten bleiben trotzt des sog. Athesionsverfahrens, d.h. der gleichzeitigen Entscheidung über die zivilrechtlichen Ansprüche, weitgehend unberücksichtigt, von den wenigen Täter-Opfer-Ausgleichsfällen, abgesehen., Opfer eines Sexualdelikts müssen wiederholte Vernehmungen über sich ergehen 1assen auch werden immer wieder unwürdige Vernehmungsmethoden behauptet. Hilfen, finanzielle Hilfen, insbesondere psychische Hilfen werden dem Verletzten regelmäßig nicht angeboten. Das Opferentschädigungsgesetz läuft vielfach leer, weil die Betroffenen keine Kenntnis von ih-

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ren Rechten haben, weil ausländische Mitbürger nicht erfaßt werden, sofern nicht in ihrem Heimatland eine entsprechende Regelung für Deutsche getroffen wurde, was regelmäßig nicht der Fall ist. In der Praxis ist die Strafverfolgung offensichtlich wenig opferorientiert. Ich werde entsprechend diesem Problemaufriß zu zwei Themen referieren: Einmal geht es um die rechtstheoretische Stellung des Opfers im Ermittlungsverfahren, um seine Rollenbeschreibung, gerade auch im Verhältnis zum Beschuldigten. Zum anderen geht es mir um praktische Bemühungen, um eine bessere Berücksichtigung von Opferinteressen im Alltag der Strafverfolgung. Dies will ich an zwei Beispielen darstellen, an der Vernehmung von kindlichen Opfern beim sexuellen Mißbrauch und am Täter-Opfer-Ausgleich im Ermittlungsverfahren.

II. Mit dem Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 ist der Verletzte selbständiger Prozeßbeteiligter. Es bedarf somit für seine Rechtsstellung im Verfahren nicht mehr der Zulassung als Nebenkläger. Damit, d.h. mit der Zulassung als Nebenkläger, wird seine Rechtsposition lediglich ausgebaut, qualifiziert. Der Verletzte ist Prozeßbeteiligter. Der Beschuldigte, der spätere Angeklagte, bleibt aber Hauptperson. Gibt es keinen Beschuldigten, gibt es kein Strafverfahren, auch wenn ein Strafopfer da ist. Im sog. Barschel-Verfahren hat sich diese Ansicht erst sehr spät durchgesetzt, unabhängig davon, ob Barschel überhaupt Opfer einer Straftat geworden ist. Im Mittelpunkt des Strafprozesses steht der Beschuldigte, der Angeklagte. Es geht um seine Verurteilung, um seine Bestrafung. Das staatliche Strafverfahren wurde im Mittelalter, mit der Gerichtsordnung des Jahres 1532, gerade eingeführt, um die Opferrolle mit dem Recht der Blutrache zurückzudrängen. Der Staat übernahm die Richterrolle, später nach der Französischen Revolution auch die Anklägerrolle durch die Staatsanwaltschaft. Der sog. Strafanspruch des Staates verdrängte nicht nur den privaten Strafanspruch, sondern die Rolle des Verletzten wurde zu einer Nebenrolle im Verfahren, ja zum Teil wurde er ganz aus dem Verfahren gedrängt. Erst - wie gesagt mit dem Opferschutzgesetz des Jahres 1986, mit weiteren gesetzlichen Verbesserungen der Opferposition, ist der Verletzte wieder im Verfahren integriert.

Bevor ich mich der Frage zuwende, ob wir nicht zur Zeit schon wieder zu weit gehen, die Position des Verletzten im Verfahren über das gebotene Maß und damit zum

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Nachteil von Beschuldigtenrechten verstärken, ein Wort zu den anderen Verfahrensbeteiligten. Ich sagte, der Beschuldigte steht im Mittelpunkt des Verfahrens, sollte im Mittelpunkt des Verfahrens stehen. Dies wird von einigen juristischen Prozeßbeteiligten nicht immer beachtet. Die eigene Rolle als Richter, Staatsanwalt oder als Verteidiger wird in den Vordergrund gespielt. Der Streit unter den juristischen Prozeßbeteiligten bestimmt insbesondere in spektakulären Prozessen die Verhandlung, nicht selten werden derartige Streitigkeiten auf dem Rücken des Angeklagten ausgetragen. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Die Auseinandersetzung zwischen Anklage und Verteidigung, zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist etwas normales, ist im System des Strafprozesses angelegt. Wir müssen aber wieder zu einer Streitkultur zurückfinden, die unterschiedlichen Rollen im Prozeß akzeptieren, dürfen vor allem die Hauptperson, den Angeklagten, nicht als eine Randfigur in die Ecke stellen.

Zurück zur Rollenverteilung zwischen Beschuldigtem und Verletztem. Gem. § 406g Abs. 2 StPO hat der anwaltliche Beistand eines nebenklagebefugten Verletzten grundsätzlich ein Recht auf Anwesenheit bei richterlichen Vernehmungen, z.B. von Zeugen aber auch des Beschuldigten. Dies gilt damit auch für haftrichterliche Vernehmungen. Damit soll die schon erwähnte Waffengleichheit zwischen Beschuldigten und Verletztem hergestellt werden, ein Gegengewicht zur Anwesenheit des Verteidigers bei entsprechenden richterlichen Vernehmungen geschaffen werden. Abgesehen davon, daß die Zeugenrolle und schon gar nicht die Täterrolle in diesem Verfahrensstadium noch nicht eindeutig festgelegt ist - ja, wie angedeutet - der Verletzte selbst und nicht nur in Notwehrsituationen selbst aktiv beteiligt gewesen sein kann, kommen auf diesem Wege Strafbedürfnisse in das Verfahren, die sich regelmäßig als Vergeltungsbedürfnisse, wenn nicht als Rachebedürfnisse artikulieren. Verletzte sind emotionalisiert, sind nicht nur betroffen, sind in Aufruhr. Ihre Reaktionsgefühle im Sinne von Vergeltung sind verständlich. Unser Strafrecht ist aber über dieses Stadium hinaus; es ist nüchtern, muß nüchtern sein im Sinne einer präventiven Ausrichtung, um Straftatwiederholungen zu verhindern. Gerade bei der Entscheidung über eine Untersuchungshaft kann auf dem Wege der formalen Beteiligung des Verletzten............. das richterliche Verhalten beeinflussen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE Bd. 19, S. 347) ausgeführt, daß für die Verhängung einer Untersuchungshaft die Erregung der Bevöl-

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kerung, die es unerträglich findet, wenn ein "Mörder" frei umherlaufen daß diese Erregung für die Anordnung einer Untersuchungshaft nicht ausreichend sei. Wer in der Praxis das Auftreten von Nebenklägern im Verfahren erlebt hat, weiß, wie damit der Strafprozeß gestört werden kann, emotionalisiert werden kann.

Ich darf in diesem Zusammenhang das kriminalpolitische Programm der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen aus dem Jahre 1975 in Erinnerung zurückrufen. Hier heißt es in der These 12:

"Verfolgungen kriminellen Verhaltens hat unter Ausschluß rein privater Interessen der Verhütung von Kriminalität und damit dem Schutz der Allgemeinheit zu die-

nen.

Kriminelles Verhalten wird nicht verfolgt, um den Täter zu brandmarken oder aus der Gemeinschaft auszuschließen. Die Verfolgung hat vielmehr darauf abzuzielen, sozialschädliches Verhalten zu verhüten; durch die Aufdeckung und Aufklärung solchen Verhaltens soll einerseits die Einwirkung auf den Täter ermöglicht, andererseits potentiellen Tätern deutlich gemacht werden, daß sich kriminelles Verhalten nicht lohnt. Auf diese Weise dient Verfolgung kriminellen Verhaltens dem Schutz aller Bürger.

Weil Verfolgung kriminellen Verhaltens dem Schutz der Allgemeinheit zu dienen hat, ist eine unmittelbare Einwirkung des Verletzten oder anderer Privatpersonen auf die Verfolgung unzulässig. Deshalb sind Rechtsinstitute wie Strafantrag, Neben- und Privatklage abzuschaffen, weil sie der Durchsetzung privater Interessen mit Mitteln des Kriminalrechts unabhängig von der Notwendigkeit spezialpräventiver Maßnahmen dienen und der Konzentration der Verfolgung entgegenstellen.

Das Klageerzwingungsverfahren muß jedoch als Gegengewicht zum Anklagemonopol der StA beibehalten werden. Es ist zu prüfen, ob in bestimmten Fällen (z.B. im Bereich des Umwelt- und Verbraucherschutzes) Verbänden die Klagebefugnis einzuräumen ist."

Wer nicht soweit gehen will, wer nicht die aktiven Verfahrensrechte des Opfers im Verfahren weitgehend beseitigen will, sollte zumindest einen weiteren Ausbau der formalen Verletztenrolle im Verfahren widerstehen. Ich plädiere stattdessen für eine Stärkung der Beschuldigtenposition im Ermittlungsverfahren, insbesondere für einen

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Ausbau der Pflichtverteidigung. Immer wieder und zu Recht wird der Anstieg der Untersuchungshaft beklagt. In einem Modellversuch in Frankfurt, ist der Nachweis erbracht worden, daß die Untersuchungshaft bei sofortigem Einsatz eines Strafverteidigers erheblich abgekürzt werden kann. Dies ist nicht nur aus rechtsstaatlichen sondern auch aus ökonomischen Gründen geboten. In dem Empfehlungen der Niedersächsischen Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts aus dem Jahre 1992, an denen ich mitgearbeitet habe, heißt es: "Die Kommission ist einhellig der Auffassung, daß in jedem Fall eines Freiheitsentzuges ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Die Vernehmung des festgenommenen Beschuldigten darf nur in Anwesenheit seines Verteidigers erfolgen. Der Freiheitsentzug beinhaltet einen nachhaltiger, Eingriff in die Lebenssituation des Betroffenen. Ein unter diesem Druck stehender Beschuldigter bedarf des anwaltlichen Beistandes, um seine Interessen sachgerecht wahrnehmen zu können. Besonders im Fall des Freiheitsentzuges ist die fachkundige Unterstützung des Beschuldigten notwendig, um diese nicht als Objekt staatlichen Handelns, sondern als eigenständiges Subjekt des Strafverfahrens ansehen zu können."

Ich bin gegen eine weitere Verstärkung der formalen Position des Verletzten, des Opfers, weil dieses tendenziell zum Nachteil der Beschuldigtenposition sich auswirkt, weil damit emotionalisierte Strafbedürfnisse, Vergeltungsbestrebungen den aufgeklärten Strafprozeß vernebeln. Ich bin für eine praktische Verstärkung der Verletztenposition, durch konkrete Hilfen bei der Venehmungssituation, durch einen Täter-Opfer-Ausgleich schon im Verfahren, möglichst vor Anklageerhebung und Hauptverhandlung.

III. Hierzu folgende Konkretisierungen.

1. Kindliche Opfer beim Sexuellen Mißbrauch

Die Verletzungen, die physischen und psychischen Verletzungen, die Kinder als Opfer sexuellen Mißbrauchs erleiden, muß ich nicht näher beschreiben. Durch wiederholte Vernehmungen, durch die Konfrontation mit dem Angeklagten in der Hauptverhandlung, wurden und werden diese Geschehnisse immer wieder aufgerollt. Die Vernehmung in der Hauptverhandlung stellt sich für das Kind nicht selten als Wiederholung der Tat dar. Der Gesetzgeber hat reagiert. Mit der Einführung der Videotechnik soll

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dem Kind die wiederholte Vernehmung, die Konfrontation mit dem Angeklagten in der Hauptverhandlung erspart werden. Trotzdem wird sich auch in der Zukunft diese Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht vermeiden lassen. Wir, d.h. das Institut für Psychologie in der Person von Prof. Kohnken und ich in meiner früheren Funktion als Generalstaatsanwalt haben deshalb ein Zeugenbegleitprogramm für Kinder entwickelt, die Opfer sexuellen Mißbrauchs geworden sind bzw. eine solche Straftat angezeigt haben. Das Zeugenbegleitprogramm besteht aus drei Phasen. In der ersten Phase werden dem kindlichen Zeugen - natürlich auf freiwilliger Basis - Informationen über den Ablauf einer Vernehmung sowie über die Aufgaben der an einer Gerichtsverhandlung beteiligten Personen vermittelt. Dabei werden insbesondere Informationen zur Rolle des vorsitzenden Richters bzw. der vorsitzenden Richterin gegeben, da diese Hautgesprächspartner des Kindes in der Hauptverhandlung sind. Darüber hinaus erhält das Kind Informationen über die Aufgaben eines Zeugen, die Funktion seiner Aussage und allgemeine Verhaltenshinweise. Auch auf Ängste des Kindes soll im Rahmen dieses Kontaktes eingegangen werden. Für diese Vorbereitungsphase wurden kindgerechte Broschüren entwickelt, die den Kindern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. In der zweiten Phase wird die Begleitung des Kindes zum Hauptverhandlungstermin und die Anwesenheit während der Vernehmung angeboten. Bei Ausschluß der Öffentlichkeit kann eine Zulassung der Begleitperson gern. § 175 Abs. 2 GVG erfolgen. Der Tag der Vernehmung wird mit dem Kind gemeinsam besprochen und geplant. Im Rahmen einer Nachbetreuung wird schließlich die Vernehmung aufgearbeitet und werden die Erfahrungen und Eindrücke aus der Hauptverhandlung besprochen. Auch kann der weitere Verlauf sowie das Urteil erläutert werden. Gewinnt der Zeugenbegleiter/die Zeugenbegleiterin den Eindruck, daß das Kind in besonderer Weise belastet ist, soll er/sie den Eltern eine Beratung und Therapie empfehlen. Für die gesamte Zeugenbegleitung gilt, daß unter keinen Umständen die Aussage selbst eingeübt werden soll und Gespräche über den eigentlichen Verfahrensgegenstand sowie über den Inhalt der Aussage nicht geführt werden dürfen.

 

2. Der staatsanwaltschaftliche Täter-Opfer-Ausgleich

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Ein weiteres Beispiel für eine opferorientierte Strafverfolgung ist der staatsanwaltschaftliche Täter-Opfer-Ausgleich. Im Jahr 1991 habe ich für Schleswig-Holstein eine Rundverfügung "Täter-Opfer-Ausgleich im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen" herausgegeben. Hierin heißt es:

"Ziel der Rechtsanwendung ist (Wieder-)Herstellung des Rechtsfriedens. Strafe soll dabei ultima ratio, letztes Mittel des Staates sein, um seine Bürger und sich selbst zu schützen. Den Opferinteressen wurde bislang im Strafverfahren wenig Beachtung geschenkt; das Opfer mußte seine Interessen regelmäßig selbst, nicht seiten auf dem Zivilweg durchsetzen. Durch das 1. Änderungsgesetz zum JGG hat der Gesetzgeber deswegen das herkömmliche Sanktionssystem um das Institut des Täter-Opfer-Ausgleichs erweitert (jetzt § 10 Abs. 1 Nr. 7 JGG). Dem liegt die Erwartung zugrunde, daß ein Ausgleich den Interessen des Opfers häufig mehr dient als Strafe. Der Täter-Opfer-Ausgleich bietet die Chance, den durch die Straftat entstandenen Konflikt zwischen Täter und Opfer angemessener und erfolgreicher zu bereinigen. Diese Erkenntnisse gelten gleichermaßen in Fällen, in denen dem Geschädigten ein erwachsener Täter gegenübersteht. Konfrontation mit dem Opfer und das Bemühen um Beseitigung der Tatfolgen kann im Sinne einer Spezialprävention auf den Beschuldigten nachhaltig einwirken. Bei erwachsenen Beschuldigten bietet der bislang vergleichsweise wenig angewandte § 153a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO die rechtliche Grundlage, um diese Ziele auf der Ebene staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen zu verfolgen. Bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten eröffnet § 45 Abs. 2 JGG n.F. diesen Weg."

Mittlerweile hat der Gesetzgeber auch im Erwachsenenstrafrecht einen Anstoß für den Täter-Opfer-Ausgleich gegeben. In § 46a StGB heißt es- "Hat der Täter 1. in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder 2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt, so kann das

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Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen."

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in seinem Beschluß vom 31. März 1995 zur Anwendung des § 46a StGB folgende Leitsätze formuliert:

"1. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß der Angeklagte nach der Tat an den Geschädigten Schadenersatzleistungen erbracht hat, hat der Tatrichter zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern. ob die Voraussetzungen des § 46a StGB vorliegen, und ob er von den fakultativen Möglichkeiten dieser Vorschrift Gebrauch macht.

2. Der Täter muß die erreichte oder erstrebte Schadenswiedergutmachung in den Fällen des §46a Nr. 1 StGB auf der Grundlage umfassender Ausgleichsbemühungen betreiben. Erforderlich sind insoweit Initiativen, die, tunlichst unter Anleitung eines Dritten, auf die Lösung des der Tat zugrunde liegenden Gesamtkonflikts mit friedenstiftender Wirkung abzielen."

Die gesetzgeberische Absicht ist eindeutig. In der Gesetzesbegründung zum 1. Änderungsgesetz zum JGG heißt es:

"Mit der Weisung, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), werden dem Jugendlichen die Folgen seiner Tat verdeutlicht, werden oft vernachlässigte Opferbelange berücksichtigt und der durch die Straftat entstandene Konflikt in der Regel erfolgreicher bereinigt, als es traditionelle Sanktionen vermögen".

Hierbei soll der Täter-Opfer-Ausgleich schon möglichst vor einer Hauptverhandlung durchgeführt werden. § 45 Abs. 2 JGG ist hierfür die Grundlage. Auch hierzu einige Zitate aus der Gesetzesbekundung:

 

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"Kommt eine Entscheidung gem. § 45 Abs. 1 JGG nicht in Frage, so ist eine informelle Erledigung nach § 45 Abs. 2 dann geboten, wenn der Jugendliche durch eins. anderweitige erzieherische Reaktion so gefördert werden kann, daß eine Entscheidung durch den Jugendrichter verzichtbar erscheint. Dabei ist zu beachten, daß erzieherische Maßnahmen aus dem sozialen Umfeld des Jugendlichen nachdrücklicher empfunden werden und - folgen sie der Tat auf dem Fuße - besonders geeignet sind, Schuldeinsicht zu fördern und das künftige Verhalten des Jugendlichen zu beeinflussen. Können daher die Reaktionen von Eltern, von Verwandten und Freunden, seitens der Schule oder anderer Träger informeller Sozialkontrolle Äquivalente zu Reaktionen der Strafjustiz darstellen, so ist deren Berücksichtigung unter dem Aspekt auch der "Reaktionsbegrenzung" geboten. Als Beispiel für eine effektive erzieherische Maßnahme, die von manchem als die "wohl hoffnungsvollste Alternative zum übelzufügenden Reaktionskatalog des Strafrechts" (Schreckling/Pieplow, ZRP 1989, S. 10) eingeschätzt wird, nennt der Entwurf den Täter-Opfer-Ausgleich. Der Staatsanwalt kann auch selbst die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG schaffen, falls noch keine angemessene erzieherische Reaktion erfolgt ist. So kann er zum Zwecke der Normverdeutlichung ein Gespräch mit dem Jugendlichen führen oder eine Schadenswiedergutmachung oder Entschuldigung anregen. Erforderlich hierfür ist jedoch, daß der Jugendliche mit der vorgeschlagenen Maßnahme einverstanden ist und der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter nicht widersprochen. Erst dann, wenn die nach § 45 Abs. 1 oder Abs. 2 JGG gebotenen Maßnahmen unangemessen erscheinen und die Einschaltung des Jugendrichters aus erzieherischen oder anderen Gründen geboten ist, kommt das formlose richterliche Erziehungsverfahren nach § 45 Abs. 3 JGG in Betracht."

Täter-Opfer-Ausgleich ist somit aus der Projektphase herausgetreten, er ist kein Anliegen einer speziellen kriminalpolitischen Richtung mehr, er ist Gesetz.

Der Täter-Opfer-Ausgleich ist auch erfolgreich. In einer Bestandsaufnahme zur Praxis des Täter-Opfer-Ausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1991 heißt es: "Definiert man die Fälle als erfolgreich, bei denen es zu Regelungen zwischen

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Tätern und Geschädigten gekommen ist, und Wiedergutmachungsleistungen, sofern vereinbart, vom Täter auch erbracht worden sind, so ist der Täter-Opfer-Ausgleich in drei von vier Fällen erfolgreich." Der Täter-Opfer-Ausgleich wird, wo er denn von den Strafverfolgungsbehörden initiiert wird, angenommen. Nur geschieht dies leider viel zu seiten. Im Vergleich zu den sonstigen Erledigungen bei der Staatsanwaltschaft durch Anklageerhebung, durch Strafbefehlsanträge, durch Einstellungen fristet der Täter-Opfer-Ausgleich nach wie vor ein Schattendasein. Hier besteht praktischer Reformbedarf.

4. Damit komme ich zum Abschluß. Justiz muß sich immer wieder neu auf Kriminalität einstellen, um vernünftig und human auf Kriminalität zu reagieren. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1977 ausgeführt: "Die Geschichte der Strafrechtspflege zeigt deutlich, daß an die Stelle grausamster Strafen immer mildere Strafen getreten sind. Der Fortschritt in der Richtung von höheren zu humaneren, von einfacheren zu differenzierteren Formen des Strafens ist weitergegangen, wobei der Weg erkennbar wird, der noch zurückzulegen ist". Ein Wegweiser für eine humane und gleichzeitig effektive Strafverfolgung ist der Täter-Opfer-Ausgleich. Hierbei dürfen Täter und Opfer nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Beschuldigte bleibt die Hauptperson im Strafverfahren, seine Rechte müssen gewahrt bleiben. Wir sollten weniger über immer neue gesetzliche Veränderungen im Interesse der Verbrechensopfer nachdenken und diskutieren, wir sollten mehr die tatsächlichen Möglichkeiten für eine opferorientierte Strafverfolgung ausnutzen.