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Budgetierung in der Justiz
Bald sollen alle Gerichte in Baden-Württemberg nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden. Die traditionelle "kameralistische" Haushaltsordnung wird abgelöst. Statt dessen soll die Kostenverantwortung künftig bei den Gerichten liegen. Die können dann selbst entscheiden, wofür sie das ihnen zustehende Geld einsetzen wollen, ob sie lieber Bücher, Software oder Möbel anschaffen. Selbst die Umwandlung von Personalstelle in Sachmittel wäre möglich.

Wichtig ist vor allem, daß das Geld nicht mehr bis Jahresende ausgegeben werden muß. So wird das sinnlose "Dezemberfieber" vermieden und es können Rücklagen für größere Anschaffungen gebildet werden. Schließlich sollen die Kosten auch transparenter werden, um die Effizienzunterschiede zwischen den Gerichten sichtbar zu machen.

Seit Jahresbeginn wird die Budgetierung etwas abgeschwächt bei elf Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes erprobt. An dem einjährigen Modellversuch nimmt auch das Freiburger Verwaltungsgericht teil. Bei allen anderen Gerichten im Südwesten soll die Budgetverantwortung dann im kommenden Jahr eingeführt werden.

"Kostendenken muß enden,
wo es um die Qualität der Justiz geht"
Ein Gespräch mit Joachim von Bargen, dem Präsidenten des Freiburger Verwaltungsgerichts
Von Christian Rath

FREIBURG. Der Staat soll schlanker werden, auch die Gerichte sollen besser rechnen. Deshalb nimmt das Freiburger Verwaltungsgericht an einem Modellversuch zur Budgetierung teil. Was heißt das für ein Gericht, das über Bürgerklagen gegen Verwaltungsentscheidungen befindet, zum Beispiel in Bau-, Schul- oder Asyl-Angelegenheiten? Mit Joachim von Bargen, dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts, sprach Christian Rath.

Die Justiz soll "Kostenverantwortung" lernen. Muß Gerechtigkeit künftig billiger werden?

von Bargen: Wenn der Staat in einer Finanzkrise steckt, kann die Justiz nicht so tun, als ginge sie das nichts an. Wir müssen lernen, effizienter zu arbeiten, ohne die Qualität des Rechtsschutzes zu reduzieren. Ich bin sicher, das geht.

War die Justiz denn bisher besonders ineffizient?

von Bargen: Budgetierung und dezentrale Verantwortung werden nicht nur bei der Justiz eingeführt, betroffen ist vielmehr die gesamte staatliche Verwaltung. Aber sicher ist unter Verweis auf die richterliche Unabhängigkeit das Effizienzdenken in der Justiz besonders stark ausgeklammert worden.

Gilt die richterliche Unabhängigkeit jetzt also nur noch eingeschränkt?

von Bargen: Natürlich nicht, sie ist kostbar und auch im Grundgesetz garantiert. Deshalb muß das Kostendenken auch dort enden, wo es um die Qualität der Rechtsfindung geht Es kann nicht sein, daß eine Kammer aus Kostengründen auf einen Sachverständigen verzichtet, den sie eigentlich für notwendig hält. Ob es aber unter mehreren gleich guten Gutachtern ausgerechnet der teuerste sein muß, darüber sollte man nachdenken.

Und was machen Sie, wenn eine Kammer wirklich ständig die teuersten Gutachter auswählt?

von Bargen:. Dann suche ich das Gespräch mit der Kammer und bemühe mich, den Sachverhalt zu klären. Die Kostentransparenz soll den Kammern vor allem Gelegenheit zur Selbstprüfung geben.

Haben Sie nicht Angst, daß sich das Kostendenken mit der Zeit verselbständigen könnte?

von Bargen: Doch, ich sehe schon die Gefahr, daß eines Tages nur noch gefragt wird, wie man Prozesse möglichst billig abwickeln kann. Schlimm fände ich zum Beispiel, wenn ein Verfahren nur deshalb einem Einzelrichter zugewiesen wird, weil die Behandlung in der Kammer – bestehend aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern – teurer wäre

Am Verwaltungsgericht Stuttgart werden schon 70 Prozent der normalen Verfahren vom Einzelrichter entschieden. In Freiburg sind es nur 20 Prozent. Sind die Verfahren in Südbaden wirklich im Schnitt soviel schwieriger als in Stuttgart?

von Bargen: Sehen Sie, so schnell gerät man unter Rechtfertigungsdruck. Die Verhältnisse in Stuttgart liegen aber anders als bei uns. Das dortige Gericht ist doppelt so groß, so ist mehr Spezialisierung möglich. Im übrigen bin ich ein engagierter Befürworter des Kammerprinzips, denn es ermöglicht qualitativ bessere, berechenbare Rechtsprechung. Nur in der Kammer kann die Lösung des Falles im Dialog mit Kollegen entwickelt werden. Außerdem sind nur in der Kammer ehrenamtliche Richter dabei, die gesunden Menschenverstand und Sachwissen einbringen. Das ist mir wichtig.

Müssen die Bürger in Südbaden deshalb bald mit höheren Gerichtskosten rechnen als in Stuttgart?

von Bargen: Nein, die Gerichtskosten werden per Gesetz festgelegt. Auch nach Einführung der Budgetierung können die Gerichte hier nichts verändern.

Wie ist die Stimmung an Ihrem Gericht, wird die Reform begrüßt?

von Bargen: Ich glaube, man ist vorsichtig optimistisch. Immerhin gewinnen die Gerichte bei der Budgetierung ja auch an Unabhängigkeit. Wenn wir selbst für die Kosten verantwortlich sind, können wir auch entscheiden, wo sinnvoll gespart werden kann und wo nicht. Das ist besser, als wenn der Landtag mit dem Rasenmäher alles ein bißchen kürzt.

Es geht also vor allem um die Ausgestaltung der Sparpolitik?

von Bargen: Nein. Die Effizienzsteigerung muß im Gegenteil zu großen Teilen den Gerichten zugute kommen. Wenn wir die eingesparten Gelder überwiegend ans Land abzuführen hätten, wäre das demotivierend und würde letztlich das ganze Vorhaben gefährden. Daß hier aber ein Konflikt mit den finanziellen Interessen der Landesregierung bestehen kann, liegt auf der Hand.

Der Modellversuch, an dem Ihr Gericht jetzt teilnimmt, ist sehr kurzfristig eingeführt worden. Mitte Dezember haben Sie erfahren, daß es zum Jahresbeginn 1998 losgeht...

von Bargen: ... und bis heute wissen wir noch nicht genau, welches Budget uns eigentlich zur Verfügung steht. Trotzdem sind wir froh, daß das Stuttgarter Justizministerium kurzfristig noch einen eigenen Modellversuch aus der Taufe gehoben hat. Sonst hätten wir am Ende einfach die Vorgaben des Finanzministeriums übernehmen müssen, und die sind nicht gerade für Gerichte maßgeschneidert.

aus: Badische Zeitung
vom 05.03.1998;
aus dem BDVR-Rundschreiben 1998, 72