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10 Jahre

"Court of Jazztice"

- Die Justizjazzer -

Im Jahre 1990 beschloß der damalige Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Herr Dr. Plambeck, ein geselliges Zusammensein für die Mitarbeiter seines Gerichts zu veranstalten. Wein, Bier, Würstchen, Schmalzbrot und Gespräche außerhalb des Dienstes über dienstliche und nichtdienstliche Angelegenheiten suchten die passende Musik. Als Musik für Festlichkeiten, der zugehört werden kann, aber nicht zugehört werden muß und die gegen einen Unterhaltungsgeräuschteppich weitestgehend unempfindlich ist, bei der man unbewußt den Takt durch Wippen des Fußes mitschlägt und damit, ob man will oder nicht, Gefallen an der Darbietung signalisiert, bot sich eine fröhliche und unkomplizierte Jazzmusik in der Stilrichtung des Dixieland an. Diese frühe, in den 30er und 40er Jahren durch Elemente des Swing technisch verfeinerte Musik, war in den 50er Jahren aus den Vereinigten Staaten über England nach Deutschland gekommen und hatte insbesondere Hamburg erobert, das in der damaligen Szene "Freie und Jazzerstadt Hamburg" hieß. In unzähligen Lokalen und Kellerkneipen jazzten Schüler- und Studentenbands, die versuchten, ihre damaligen Vorbilder, wie Louis Armstrong, Jelly Roll Morton, King Oliver, Sidney Bechet und viele andere Jazzgrößen zu kopieren. Nach Noten wurde nicht gespielt, wohl aber waren die Jazzer Kenner der Harmonielehre, aufgrund derer sie erst in die Lage versetzt wurden, miteinander zu musizieren. Viele klassische Musiklehrer verloren ihre Schüler an den Jazz. Es herrschte eine kaum zu beschreibende Übereinstimmung in musikalischem Geschmack und Lebensgefühl, das seinen Ausdruck in dem Spruch fand : "Meine größten Feinde sind frische Luft, helles Licht und Mineralwasser". Natürlich waren damals Jugendliche dabei, die später in der Hamburger Justiz ihren Dienst tun sollten, ohne aber ihr damaliges Hobby aufzugeben.

Für die Organisation des besagten OLG-Festes war die Referentin des Präsidenten, unsere Kollegin Karin Wiedemann, zuständig. Sie hatte von zwei Richtern gehört, die sich von ihrem früheren Hobby nicht getrennt hatten und in ihrer Freizeit Jazz spielten. Schnell war der Gedanke geboren, diese Kollegen anzusprechen, ob sie nicht für das Winterfest des Oberlandesgerichts (so lautete jetzt der Arbeitstitel) eine Jazzband zusammenstellen könnten. Sie konnten. Das Ergebnis ist in dem Protokoll der Besprechung vom 9.2.1990 festgehalten und enthält u.a. folgende Notiz: " Krüger-Spitta und Cassel bilden eine Kapelle aus freiwilligen und kostenlosen Musikern (Schwierig, wird aber gelingen). Die Kapelle wird links hinten spielen. ... Herr Kunter sorgt für Untermalung (Pasadena Roof Orchestra), falls die Künstler ermatten."

Am 19. März 1990 war es dann soweit. Die freiwilligen und kostenlosen Musiker eröffneten den musikalischen Teil in der Halle des Hanseatischen Oberlandesgerichts mit dem Traditional "Some of these days". Das in Reserve gehaltene Pasadena Roof Orchestra mußte wegen fehlenden Ermattens der Musiker nicht in Aktion treten. Die Resonanz der Zuhörer war so groß, daß die Musiker sich immer mehr in Form spielten. Ab und zu näherten sich Kollegen und bekannten, selbst ein Instrument gespielt zu haben. Erinnerungen wurden wach an die Riverkasematten, die Jailhousetaverne (den jetzigen Cottonclub) oder die vielen Jazzkonzerte in der Ernst-Merck-Halle. Füße wippten im Takt, tanzende Paare bis spät in den Abend, ein Bild, das das Oberlandesgericht in seinen Hallen noch nicht gesehen hatte.

Jahr für Jahr wurden nunmehr die Justizjazzer bei Veranstaltungen gefragt, ob sie das musikalische Rahmenprogramm bestreiten könnten. Ob OLG-Fest, Richterbesuche ausländischer Kolleginnen und Kollegen, das von dem damaligen Präsidenten des Landgerichts, Herrn Dr. Makowka, initiierte "Swinging Justitia", die Hamburger Justizjazzer waren stets dabei.

Ein musikalisches Experiment waren gemeinsame Auftritte mit den "Kommusingers", die als Freizeitvergnügen das gemeinsame Singen verbindet. So konnte man bei dem Abschiedsfest für den Landgerichtspräsidenten Dr. Makowka nicht nur die mit Jazzchorussen verzierte und textlich verändete Moritat von Mackie Messer, sondern auch Titel der Comedian Harmonists hören. Leider hat sich im Laufe der Jahre der Vorschlag Dr. Makowkas, die Band immer dann auftreten zu lassen, wenn es gelungen sein sollte, einen schwierigen Rechtsstreit durch Vergleich zu erledigen, nicht durchsetzen können.

Eine entscheidende musikalische Veränderung in der Stilrichtung der Kapelle entstand mit dem Eintritt des Vorsitzenden der Zivilkammer 6, Michael H. Jordan. Die Band nannte sich nicht nur jetzt "Court of Jazztice", die Musik wurde auch anspruchsvoller. Traditionellen Dixielandstücken wurde jetzt ein Repertoire von Duke Ellington und Count Basie hinzugefügt, das Michael für uns arrangierte und bei dem nunmehr auch nach Noten gespielt werden mußte (Wohl denen, die sich nicht zu früh von ihren Musiklehrern verabschiedet hatten). Michael H. Jordan gehört zu dem Urgestein der Hamburger Jazzszene. Mit seiner aus der Schülerband des Johanneums hervorgegangenen St. Johns Jazzband hat er jahrzehntelang anspruchsvollen Bigbandjazz arrangiert und gespielt und auch Schallplatten aufgenommen. Sein "Stevedore Stomp" fand sich neben Elvis und Freddie in so mancher Musikbox.

Es lag nahe, daß die Veranstalter des Hamburger Juristenballs, auf dem traditionsgemäß eine Jazzband im Alstersalon des Hotels Atlantic spielte, auf den "Court of Jazztice" aufmerksam wurden und ihn engagierten. Den tanzenden Juristen gefiel nicht nur die Musik, sondern auch das Auftreten von bekannten Gesichtern, die man aus dem Gerichtsalltag kannte und denen man "das eigentlich gar nicht zugetraut hätte". Seit vielen Jahren gehören die Justizjazzer zum gewohnten Bild des Juristenballs. Allerdings mußten die Musiker dabei auch die Erfahrung machen, daß sie von dem Hotel Atlantic automatisch in die Hierarchie der Dienstleistenden eingebunden wurden und sich von dem Saalkellner sagen lassen mußten, Bier oder andere alkoholische Getränke würden an Musiker nicht ausgeschenkt. Ein geharnischter Brief von Michael Jordan an die Geschäftsleitung des Atlantic und eine energische Intervention der Mitarbeiterin des Hamburgischen Anwaltsvereins , Frau Kakies (für sie spielen wir immer gern das Stück "Bourbon Street Parade"), bescherte uns in den folgenden Jahren bessere Zeiten. Uns stand fortan ein Saalkellner zur Verfügung, der sich vorbildlich um unser leibliches Wohl kümmerte.

Natürlich hat sich im Laufe der Zeit die Zusammensetzung der Kapelle geändert. Mitglieder aus der Justiz sind oder waren: Christoph Krüger-Spitta (Klarinette), Rolf Kostowski (Banjo), Christian Löllke (Banjo), Michael H. Jordan (Arrangement, Klavier, Sopran -, Altsaxophon, Klarinette), Jochen Cassel (Klarinette, Altsaxophon), Maike Rockel (Gesang) und der Gerichtsmediziner Dr. Peter Schmutte (Gitarre). Aus befreundeten Kapellen haben uns unterstützt: Burkhard Wirz (Trompete, Flügelhorn), Max-Walter Herr (Sopran-, Tenor-, Baritonsaxophon, Flöte), Rüdiger Vermehren (Bass, Tuba) , Wolfgang Krückeberg (Posaune und Gesang) und Dr. Bernd Braune (Bass).

10 Jahre "Court of Jazztice" sind Anlaß für diesen Rückblick. Für die Zukunft wünschen wir uns, daß wir weiterhin Gelegenheit finden, unseren Kolleginnen und Kollegen und allen Freunden der Musik mit unserem Jazz eine Freude bereiten zu können.

Gern spielen wir auch im privaten Rahmen, mit großer oder kleiner Besetzung. Das Honorar ist Vereinbarungssache, dürfte aber eher als bescheiden bezeichnet werden. Vielleicht gibt es ja auch einmal eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Juristenorchester, dem wir bei dieser Gelegenheit zu seinem zehnjährigen Bestehen gratulieren.

Jochen Cassel