(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/02, 20) < home RiV >

Justizhaushalt - Reden und Taten

 

1. Reden im April

  

Auszüge aus der Bürgerschafts-Debatte vom 16.04.02 zum Haushalt 2002[1]:

 

„Rolf-Dieter Klooß (SPD):

...

Obwohl die Justizbehörde von alten Schulden befreit wird, was durchaus zu begrüßen und anzuerkennen ist, darf nicht vergessen werden, dass sie weiterhin 1,6 Millionen Euro einsparen muss. ...

Jetzt wollen Sie in Billwerder circa 800 Haftplätze auf einmal schaffen – mit Geld, das Sie noch nicht haben. Man darf gespannt sein, was Ihre Senatskollegen dazu sagen, denn irgendwoher muss das Geld ja kommen. Drucken können Sie es nicht. Wenn Sie den Bedarf aus dem Bestand finanzieren müssen, werden Sie notgedrungen andere Bereiche Ihrer eigenen Behörde bluten lassen müssen. ...

 

Carsten Lüdemann (CDU):

...

Erinnern Sie sich auch an den Protest der Richter am Hamburger Landgericht, die im vergangenen Sommer in einem bis dahin einmaligen Hilferuf fast geschlossen erklärten, der Kollaps der Hamburger Justiz drohe nicht nur, er sei schon da? Wie Recht die Richter hatten, erfährt man bei genauer Betrachtung des Justizhaushalts, jedenfalls zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme. Die vorherige Senatorin, Frau Dr. Peschel-Gutzeit, war ihrer Konsolidierungsverpflichtung aus dem Programm 1994 bis 2001 nicht immer vollständig nachgekommen. Das war zum Teil sicherlich auch erforderlich, um bestimmte Gerichte überhaupt noch hand-lungsfähig zu halten. Die Einsparverpflichtung im Personalbereich der Gerichte, Staatsanwaltschaften und des Vollzugsdien-stes war der Senatorin aber durch Verträge nur prolongiert und nicht etwa erlassen oder durch andere Bereiche gedeckt worden. ...“

 

(zur Fehlplanung der elektronischen Außensicherung JVA Vierlande:)

„Zur Schadensberechnung muss man auch noch die Personalkosten, die nicht eingespart worden sind, hinzuzählen, denn diese zusätzlichen Kosten kommen noch zur nicht erbrachten Konsolidierungsverpflichtung hinzu. Das bedeutete im vergangenen Herbst, als der neue Senator die Behörde übernahm, er hätte in diesem Jahr 4,5 Millionen Euro – das heißt umgerechnet 90 Stellen – einsparen müssen. Sie müssen sich diese Zahlen einmal vorstellen. Das sind mehr, als das Finanzgericht und das Oberfinanzgericht zusammen haben. ...

 

Eine Umverteilung der Mittel ging schon aus dem Grunde nicht, weil die Baubehörde unter Herrn Senator Wagner oder auch die Sozialbehörde aufgrund des politischen Einflusses absolute Tabubereiche waren. Man konnte gar nicht daran denken, Mittel aus dem Bereich Bau oder Verkehr abzuziehen, um den Bereich Inneres zu stärken, weil der Senator innerhalb des Senats so stark war,

...

Nun ist es aber nicht so gewesen, dass die Staatsanwälte mit 200 Leuten lautstark vor den Türen des Rechtsausschusses demonstrieren, um ihr Geld einzufordern und die Abgeordneten zu nötigen, sondern die Staatsanwälte haben das – im Gegensatz zu anderen Zuwendungsempfängern – schon jahrelang so hinnehmen müssen. Es kann allerdings auch nicht sein, dass immer diejenigen, die am lautesten schreien, hinterher das meiste Geld bekommen.

...

Die Unabhängigkeit der Richter wird von Ihnen immer hochgehalten, wenn es um die Strafversetzung politisch unbeliebter Konkurrenten geht. Da heißt es, das ist nicht unsere Entscheidung, das machen die Richter unter sich aus. Da wird die heilige Kuh ganz hoch gehängt. Wo es aber um den Kerngehalt der richterlichen Unabhängigkeit geht, um die Urteile, die vollkommen unabhängig gefasst werden müssen, haben Sie den Oberlehrer heraushängen lassen, die Super-Revisionsinstanz eingebaut und reihenweise Straftäter begnadigt. Faktisch führt das dazu, dass Sie die Urteile der Richter aufgehoben haben, um die überlasteten Haftanstalten zu entlasten. Das werden wir nicht machen. Bei uns wird die Gnadenpraxis geändert. ...

 

Reinhold J. W. Schaube

(Partei Rechtsstaatlicher Offensive):

 

... hat der neue Senat die Gerichte, Staatsanwaltschaften und den allgemeinen Vollzugsdienst von der Sparverpflichtung ausgenommen.

 

... im Juni 200 der 207 Richter des Landgerichts auf die katastrophalen Zustände der Justiz aufmerksam gemacht. Untersuchungshäftlinge kamen vor ihrem Prozesstermin frei, Straftaten verjährten und so weiter. Es wurde sogar der Vorwurf erhoben, Sie hätten gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, der die Beschleunigung von Strafverfahren gebietet. Was machte damals die Justizsenatorin? Sie zeigte sich betroffen. Sie scheinen vergessen zu haben, dass Sie diverse Stellenkürzungen bei den Richtern und Staatsanwälten vorgenommen haben. Die Liste wäre beliebig lang. Sie scheinen auch vergessen zu haben, dass sich die Amtsrichter, die Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht und 150 Staatsanwälte mit dem Bemerken an die Presse gewandt haben, die Justiz stehe vor einem Kollaps. Von Kriminalitätsverwaltung statt Strafverfolgung war die Rede.

...

Wie haben Sie auf all die Kritik reagiert? Sie wehrten alles gleichsam reflexartig ab. Den Richtern ginge es viel besser, hieß es da von den Kollegen Zuckerer und Ehlers, sie holten eine Bundesstatistik hervor, die sich auf die Rechtsmittelinstanz bezog. Doch die Proteste der Richter und Staatsanwälte verstummten nicht. Selbst die hartnäckigsten Verfechter im Senat, die die Augen-zu-und-durch-Strategie verfolgten, gaben irgendwann auf und merkten den Wechsel der Stimmung. So wurde hastig eine Marscherleichterung für die Justiz beschlossen. ...

Auch die personelle Situation an den Gerichten werden wir weiter im Auge haben. Wenn bei den Richtern zunächst keine Aufstockung der Stellen erfolgt, ist Ihre Kritik auch nur vordergründig, ...

 

 

Christian Maaß (GAL):

...

Denn der Justizhaushalt und die Justizbehörde haben im Wesentlichen drei Aufgaben. Eine dieser Aufgaben – aus meiner Sicht die erste dieser Aufgaben – besteht darin, die Grundrechte der Bürger gegenüber dem Staat zu schützen, zweitens für Gerechtigkeit beim Streit zwischen einzelnen Bürgern zu sorgen und drittens strafbares Verhalten zu sanktionieren und die Opfer von Straftaten auch zu schützen. ...

 

Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):

...

Während die Justizbehörde uns einerseits auf einem Papier, das Frau Dr. Nümann-Seidewinkel als Haushaltskonsolidierung stolz präsentierte, eine Einsparung von 6 Millionen DM vorgaukelte, stellten wir später in den hinterlassenen Haushaltsunterlagen von Justizsenatorin Peschel-Gutzeit fest, dass es sich um einen rechtlich zwar zulässigen, aber politisch höchst fragwürdigen Taschenspielertrick handelte. Linke Tasche, rechte Tasche,

...

die Funktionsfähigkeit der Gerichte ist kein Wunschprogramm einer Regierung, an der man beliebig sparen kann. Die dritte Gewalt gehört zu den unverzichtbaren – hören Sie einmal zu, das sagt ein Liberaler ganz selten, was jetzt kommt – Kernaufgaben des Staates, die zu gewährleisten sind. ...

 

Dr. Roger Kusch (Senator):

...

Erstmals seit Jahren gibt es einen Senat, für den die angemessene Ausstattung der Justiz eine Selbstverständlichkeit ist. ...

Der Senat hat am 18. Dezember das Gebotene getan und durch Umschichtung im Haushalt 2,9 Millionen Euro bereitgestellt, um den Hamburger Strafvollzug zu entschulden. Zur Finanzierung dieser Summe habe allein ich in der Justizbehörde mit 0,8 Millionen Euro und einem Wert von 16 Stellen zur Konsolidierung beigetragen. ...“

 

 

2. Taten im Juni

 

 

Kleine Anfrage in der Bürgerschaft zum Haushalt-Entwurf vom Juni 2002 für 2003[2]:

 

„Im Rahmen der Beratungen über den Haushalt 2002 war der Ansatz für die Personalausgaben im Kapitel 2110 ‚Gerichte und Staatsanwaltschaften’ um rund 3,4 Millionen Euro erhöht worden, weil die Staatsanwaltschaft Hamburg und die Gerichte von weiteren Konsolidierungsverpflichtungen entlastet sowie personell verstärkt’ werden sollten. Nunmehr werden im Haushaltsplan-Entwurf 2003 die Personalausgaben von Gerichten und Staatsanwaltschaften wieder um rund 3 Millionen Euro abgesenkt.“

 

 

1. Auf die hierauf bezugnehmende Frage nach den Ursachen antwortete der Senat:

„Im Zuge der Verlängerung der Arbeitszeit sind von den ordentlichen Gerichten und Staatsanwaltschaften einschließlich der Versorgungsanteile rund 623 000 EUR einzusparen. Durch die veränderte Referendarausbildung entstehen unter Einbeziehung der Versorgungsanteile Minderausgaben von 1 225 000 EUR. Die im Zusammenhang mit der Reduzierung der Intendanzkosten zu realisierenden Einsparungen im Einzelplan 2 sind im Kapitel 2000 „Justizverwaltung“ einschließlich der Versorgungsanteile mit rund 429 000 EUR bei der Veranschlagung berücksichtigt.

...

Bei der Bemessung der Personalkosten für die ordentlichen Gerichte und Staatsanwaltschaften im Haushaltsjahr 2003 wurde darüber hinaus eine einmalige Absenkung der Personalkosten um 1 000 000 EUR vorgenommen. ...“

 

Zu dieser Senatsantwort sei erläutert:

Für die Streichungen wegen Arbeitszeitverlängerung wurde nur die Verlängerung für die Beamten (von 38,5 auf 40 Wochenstunden) zugrundegelegt. Eine kalkulatorische "Arbeitszeitverlängerung" für Richter ist dem Vernehmen nach nicht ebenfalls Bemes-sungsgrundlage für die Streichung gewesen (immerhin hat die Pebb§y-Untersuchung im Auftrag der Justizminister eine richterliche faktische Arbeitszeit von deutlich mehr als 40 Wochenstunden ergeben).

 

 

2. Frage: „Trifft es zu, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften 1 Million Euro durch Einsparungen im Personalbudget 2003 zu erwirtschaften haben, um damit eine „Zwischenfinanzierung“ für mittelfristig erwartete Einsparungen aus der Umstellung der Referendarausbildung zu leisten?...“ 7

 

Antwort des Senats:

„Ja. Ziel des Senats ist es, den Betriebshaushalt bis 2004 auszugleichen. Dazu wurde mit den Rahmenvorgaben für das Aufstellungsverfahren zum Haushaltsplan-Entwurf 2003 beschlossen, den Haushalt 2003 aufgrund aufgabenkritischer Maßnahmen und gezielter Effizienzsteigerung um 75 Millionen EUR zu entlasten. Da die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen unterschiedlich weit fortgeschritten ist, die Höhe des gesamten Einsparvolumens jedoch nicht gefährdet werden darf, ist es erforderlich, Zwischenfinanzierungen für mittelfristig erwartete Einsparungen vorzusehen. ...“

 

Zu dieser Senatsantwort sei erläutert:

Dass die Streichung eine "Zwischenfinanzierung" sein soll, bedeutet nicht, dass wir davon später etwas zurückbekommen. Vielmehr bedeutet das, dass bereits jetzt Aufgabenreduzierungen (z.B. Umstellung der Referendarverhältnisse) eingeleitet werden, die in 2003 noch nicht zu Einsparungen führen, aber die Streichungen dennoch schon in 2003 durchgeführt werden. Das Geld wird uns endgültig fehlen.

 

Streichungen aufgrund "aufgabenkritischer Maßnahmen" bedeuten nicht, dass Richter von Aufgaben entlastet werden, sondern es werden Gelder gestrichen im Hinblick darauf, dass im Haus der Gerichte für die neuen Gerichte gemeinsame Verwaltungsbereiche geschaffen werden sollen (Personalverwaltung, Bibliothek, Registratur, Annahmestelle), dass im Strafvollzugsamt Abteilungen zusammengelegt werden und die Durchführung der studentischen Praktika optimiert werden sollen.

 

Zum Schluss noch eine kleine Anmerkung:

Soweit vermeldet wird, die Betriebsausgaben bei der Justiz würden 2003 mit 7,3% „überdurchschnittlich steigen“, beruht dies - wie schon so oft - auch in diesem Jahr wieder nicht auf besonderen Wohltaten für die Justiz. Ursache ist vielmehr, dass die Gerichtsvollzieher nicht mehr in einem gesonderten Einzelplan (Allgemeine Finanzverwaltung), sondern ab 2003 im Plan der Justizbehörde veranschlagt werden: „Ohne diesen Effekt läge die Veränderungsrate ... im Bereich des Durchschnittswertes über alle Fachbehörden.“[3]

 

Erinnert sei daran, dass vor einem Jahr die Arbeits- und Sozialgerichte in den Bereich der Justizbehörde wechselten. Dies erleichtert den Vergleich der Größe des Justizhaushalts mit früheren Jahren auch nicht gerade.

 

Nach neuesten Meldungen ist wird nun das Stiftungswesen mit seinen Mitarbeitern von der Senatskanzlei in die Justizbehörde verlagert. Möge die dadurch bewirkte Erweiterung des Justizhaushalts uns nicht ebenfalls als „überdurchschnittliche Steigerung“ verkauft werden.

 

Wolfgang Hirth


[1] Plenarprot. 17/13, S. 549 ff

[2] Bürgerschafts-Drucksache 17/1440, Antwort vom 27.09.02 auf die Kleine Anfrage von Kiausch (SPD)

[3] Haushaltsplan-Entwurf 2003, Finanzbericht, Drucksache 17/1000, S. 71