(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/93) < home RiV >
Mahnmal

Das erfreuliche Engagement unserer Staatsrätin bezüglich der Errichtung eines Mahnmals für die Opfer nationalsozialistischer Justiz auf dem Sievekingplatz brachte ein Behördengespräch zustande. Es fand am 7.10.1993 in der Justizbehörde unter Leitung des Amtsleiters der Allgemeinen Verwaltung, Herrn Raben, statt. Beteiligt waren daran neben der Justizbehörde die Umweltbehörde, der Leiter des Parks Planten & Blomen, die Kulturbehörde, das Bezirksamt Hamburg-Mitte, die Baubehörde und die durch mich vertretene Projektgruppe Mahnmal.

Herr Raben brachte die Besorgnis der Justizbehörde über den derzeit beschämenden Zustand des Platzes und der auf unser Projekt hinweisenden Tafel sowie den Wunsch nach möglichst schneller Änderung zum Ausdruck. Die Justizbehörde hegt die Vorstellung, das Projekt nunmehr bis zum 50. Jahrestag des Kriegsendes zu verwirklichen. Die Kulturbehörde erklärte sich bereit, möglichst zügig einen Wettbewerb durchzuführen. Das hiermit verbundene Gefühl von "Déjà-vu-Erlebnis" stellt sich bei sorgsamen Lesern dieses Blattes zu Recht ein: Wir hatten das 1991 schon! Nun soll es aber ganz schnell gehen. Das in dieser Sache sehr engagierte Bezirksamt ist bereit, die Koordination zu übernehmen, nicht aber das Projekt als eigenes in die Kunstkommission und/oder die Haushaltsberatungen einzubringen. Hilfreich und engagiert sein zu wollen, ohne festgeschriebene Kompetenzen zu besitzen, ist unter hamburgischen Behörden offenbar so exotisch, daß dieses Angebot ohne weitere Diskussion vom Tisch gewischt wurde. Zu einer Einigung über die Federführung bei dem Unternehmen Mahnmal, die nach den Wünschen der Projektgruppe eigentlich Anlaß für das Treffen war, kam es deswegen nicht.

Die Vertreter der Umweltbehörde, der Leiter des Parks Planten & Blomen und die Baubehörde sahen sich nicht im Stande, auch nur annähernd verbindliche Aussagen über die künftige ("im Jahr 2000 oder später") Planung des Sievekingplatzes zu machen. Sie genießt keine Priorität, womit die Sache für die Herren abgetan ist.

Das Problem der unentschiedenen Überplanung des Platzes hindert nach Meinung der Behördenvertreter auch die von der Projektgruppe favoritisierte Umsetzung in Form eines Gerichtsbaumes. Ein solcher ist naturgemäß wenig beweglich - wie es aus der Sicht der Projektgruppe dem Sinn des Gedenkens auch durchaus entspricht - und erfüllt deswegen nicht die Anforderungen an ein modernes, flexibles Kunstwerk. Professor Dr. Dencker (Kulturbehörde) entwickelte deswegen die Idee eines "temporären Umfeldes" - mit anderen Worten eines beweglichen Mahnmals (vielleicht in einem Container, möchte man ergänzen), das nach endgültiger Platzgestaltung verschoben werden kann. Solchen Überlegungen kann nur heftig widersprochen werden. Sie laufen dem Geist des mit dem Mahnmal beabsichtigten Gedenkens völlig zuwider. Beliebigkeit verträgt sich nicht mit einem Denk-Mal dieses Ernstes. Zudem ist es 50 Jahre nach dem Ende nationalsozialistischer Herrschaft ein Armutszeugnis, wenn es nicht gelingt, einen gültigen Standort zu finden.

Dies ist meines Erachtens bei gutem Willen der Beteiligten nicht so schwierig, wie es scheint. Im Grunde bedarf es zu einer Umgestaltung nur weniger Maßnahmen: Es müßte der störende Metallzaun zu Planten & Blomen in Richtung Karl-Muck-Platz versetzt und die offenbar nötige Abgrenzung zum Park unauffälliger getroffen werden. Die Wegeführung könnte entsprechend einem vorhandenen Entwurf gestaltet werden. Hiernach ist eine Kreuzung von Wegen zwischen Straf- und Ziviljustizgebäude einerseits und Oberlandesgericht und Park andererseits vorgesehen. Der Entwurf soll in einem der nächsten Hefte vorgestellt werden.

Die Zurückhaltung der für das Terrain zuständigen Behörden, sich festzulegen, ist dabei wenig verständlich. Die Eckdaten für eine spätere Veränderung des Platzes liegen so eng, daß der Kernbereich zwischen den Gerichten wenig Variationsmöglichkeiten bietet: Die Straßenführung beiderseits der Mittelfläche und entlang der Gerichtsgebäude kann sich nicht verändern. Es wird ferner immer eines Fußweges zwischen Straf- und Ziviljustizgebäude bedürfen. Die zeitweise aufgekommene Idee einer Tiefgarage unter dem Platz wird nicht mehr verfolgt. Für Zufahrten ist kaum Platz. Ihnen steht auf einer Seite die U-Bahn im Wege, auf der anderen ist ebenfalls kein ausreichender Platz. Im übrigen hat bereits der U-Bahnbau statische Probleme für das OLG-Gebäude gebracht.

Bei einer dem vorliegenden Entwurf entsprechenden Umgestaltung des Platzes zwischen den Gerichtsgebäuden können ohne weiteres die Vorstellungen der Projektgruppe über eine biologische Lösung und eine gärtnerische Ausgestaltung verwirklicht werden: In den Schnittpunkt der sich kreuzenden Wege kann ein Baum gepflanzt und der Weg in Form eines Kreises reizvoll um diesen Baum herum geleitet werden. Die Gerichtslinde (Buche, Eiche pp.) symbolisiert traditionsgemäß den Ort der Sammlung und des Nachdenkens über Recht und Unrecht und bietet deswegen eine für den Standort Sievekingplatz adäquate Lösung. Auf den Zweck des Mahnmals kann durch eine schlichte Inschrift auf einem Naturstein oder einer Metallplatte hingewiesen werden: "Den Opfern nationalsozialistischer Justiz". Bei realistischer Einschätzung der finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten ist diese "biologische" Variante in der beschriebenen oder anderer Form die einzige, die bis April 1995 in Würde fertiggestellt werden kann. Gerade sie kann durch ihre Schlichtheit die zugrundeliegenden Gedanken ausdrücken. Zudem wäre es eine von den Kosten her gesehene unaufwendige Lösung - ein Umstand der gerade heute breite Akzeptanz sichert.

Geschehen soll nun aber folgendes: Die Justizbehörde wird eine Prüfung der Finanzierungsmöglichkeiten einleiten (auch dies war schon einmal für einen vergangenen Haushalt geschehen). Die Kulturbehörde bringt das Mahnmal-Projekt (erneut) in die Kunstkommision ein. Zu Vorbereitung des letzteren bat die Kulturbehörde um ein sogenanntes "Briefing". Die Projektgruppe hat so etwas im Juni 1990 (!) schon einmal erarbeitet und es "Wettbewerbsaufgabe" genannt. Aber wer wird schon in alten Geschichten bohren? Die Projektgruppe hat in ihrer Sitzung vom 28.10.1993 eine neue Fassung beschlossen, die der Justizbehörde und der Kulturbehörde zugeleitet worden ist. Sie hat folgenden Wortlaut:

Mahnmal für
die Opfer nationalsozialistischer Justiz in Hamburg
- Vorlage für die Beratung der
Kunstkommission -
Anlaß
Eine aus Gerichten und Mitarbeitervertretungen zusammengesetzte Arbeitsgruppe, unterstützt von der Justizbehörde Hamburg, regt an, die Kunstkommision möge sich erneut mit der Errichtung eines Mahnmals zum Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Justiz in Hamburg auf dem von drei Justizgebäuden umgebenen Sievekingplatz beschäftigen.
Motivation

In dem Bestreben, nicht durch Verschweigen des Unrechts und Vergessen der Opfer eine zweite Schuld auf uns Heutige zu laden und für die Zukunft ein Denk-Mal zu setzen, tritt die Projektgruppe dafür ein, den Opfern nationalsozialistischer Unrechtsjustiz auf dem Sievekingplatz ein Erinnerungsmal zu widmen und hierfür den Raum zwischen den Gerichtsgebäuden so umzugestalten, daß er würdiges Umfeld für ein solches Mahnmal sein kann.

Wettbewerbsaufgabe

Die Aufgabe der zu beteiligenden Künstler wird durch folgende Grundüberlegungen inhaltlich umrissen:

I. Vorhandene Situation
Der Sievekingplatz - 1913 bewußt als Vollendung des städtebaulich einmaligen Ensembles von Gerichtsgebäuden künstlerisch gestaltet und über Jahrzehnte in seiner Form mit allegorischen Darstellungen der drei seinerzeit das Hanseatische Oberlandesgericht tragenden Hansestädte und einer Brunnenanlage bewahrt - wurde 1962 anläßlich der IGA verändert. Ein großer Teil wurde dem Gelände von Planten & Blomen zugeschlagen. Der Restbereich ist zur Zeit durch einen hohen Metallgitterzaun provisorisch abgetrennt. Die dort aufgestellte Tafel, mit der auf das Projekt eines Mahnmals hingewiesen wird, wurde im Januar 1991 durch den damaligen Justizsenator Curilla der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Umgestaltung des Platzes genießt derzeit keine Priorität. Es liegt ein gärtnerischer Entwurf vor, über dessen Umsetzung keine Klarheit besteht. Auszugehen ist jedoch davon, daß sich das Herzstück des Platzes zwischen den Gerichtsgebäuden, wie er aus dem Plan ersichtlich ist, strukturell kaum ändern wird, d.h. die Straßenführung wird für absehbare Zeit unverändert bleiben, die Wegführung wird zwingend als Verbindung zwischen Straf- und Ziviljustizgebäude beibehalten werden müssen.

II. Das Mahnmal selbst
1) Inhalt:
Das Mahnmal soll beim Betrachter Betroffenheit auslösen und ihm Anstoß geben, sich mit der Rolle der Justiz im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Dabei ist das Nachdenken über Täter und Opfer nicht allein rückblickend in geschichtlichen Zusammenhang zu stellen. Es leitet über zu aktuellen Folgerungen. Das Mahnmal soll verdeutlichen, daß aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit Erkenntnisse gewonnen werden müssen, die dazu führen, auch Gegenwart und Zukunft bewußt zu gestalten im Sinne menschlichen Umgehens miteinander und vertieften Bewußtseins der Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten hierfür. Das Mahnmal soll auch als Zeichen neuen Denkens und des Willens der heutigen Justiz stehen, die Vergangenheit nicht zu bewältigen, sondern an ihr zu lernen, künftigen Anfechtungen zu widerstehen.
2) Form:
Die äußere Gestaltung soll unter Einbeziehung des Umfeldes als eines würdigen Rahmens geschehen und durch seine räumliche Anordnung Augenblicke des Nachdenkens ermöglichen. Hierbei ist davon auszugehen, daß sich das weitere Umfeld des Platzes in den nächsten Jahrzehnten verändern wird, die oben (I.) skizzierten Eckdaten aber einbezogen werden. Naturnahe Lösungen, die sich auch an dem historischen Symbol des Gerichtsbaumes orientieren, sollten in die Überlegungen einfließen.
3) Zeitfaktor:
Das Mahnmal sollte einschließlich des nahen örtlichen Umfeldes bis zum 50. Jahrestags des Kriegsendes fertiggestellt sein.

Karin Wiedemann