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Ansprache des Vorsitzenden anläßlich der Mitgliederversammlung am
16. Februar 1994:

Sehr geehrter Herr Staatsrat Raloff,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß Herr Senator Hardraht heute nicht kommen kann, da er erkrankt ist. Herr Hardraht läßt Ihnen ausrichten, daß er seine vorbereitete Rede gern persönlich halten und zum nächstmöglichen Zeitpunkt nachholen möchte.

Wir wissen, daß ein Senator unersetzlich ist. Herr Staatsrat Raloff hat sich aber freundlicherweise bereit erklärt, für Herrn Senator Hardraht einzuspringen und insbesondere zu den bevorstehenden Sparmaßnahmen Stellung zu nehmen. Ich bin sicher, daß wir guten Grund haben, ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu lauschen.

Es ist ein Stück Tradition im Hamburgischen Richterverein, den jüngst gekürten Justizsenator auf der Mitgliederversammlung zu begrüßen. Dem Erkrankten wünschen wir nun in absentia natürlich baldige Genesung und ein "Glückauf" in seinem neuen, schweren Amt - seiner Amtsvorgängerin, Frau Dr. Lore-Maria Peschel-Gutzeit, einen herzlichen Dank für ihr engagiertes Wirken.

"Fingieren" wir nun aber den Erkrankten als anwesend:

Nach der Fastnachtszahl "elf" sind Sie nun der 12. Justizsenator- das Dutzend ist voll. Die Zahl "12" - wahrhaft eine glücklicheZahl: im Alten Orient die große kosmische Zahl für Vollständigkeit und Heiligkeit, in der Religionsgeschichte die Zahl der Fruchtbarkeit und Erwählung, wenn man an die 12 Söhne Jakobs denkt. Und im politischen Geschehen fügt es sich gut, daß just mit dem Kommen des 12. Justizsenators die Zahl der Senatoren von 14 auf 12 "Apostel" zurückgeschnitten worden ist, so daß der neue Justizsenator jetzt nur noch, wenn es um die Verteilung der letzten Habe dieser Stadt geht, in den klassischen "Zwölfkampf" zu treten braucht.

Und damit sind wir beim Thema: den Sparmaßnahmen, denen sich auch die Gerichte und Staatsanwaltschaften stellen müssen. Um beim Zahlenspiel zu bleiben: Drei Anmerkungen seien der Dritten Gewalt gestattet: Anmerkungen, Wünsche, gleichsam olympische Mahnfackeln, bevor vieles in diesem Staat, der sich ja immer der Vollmundigkeit verschrieben hatte, zu Bruch geht.

Anmerkung 1: Es möge sich alles im rechtsstaatlichen Rahmen bewegen.

Anmerkung 2: Die Politik möge sich zu den Realitäten bekennen.

Anmerkung 3: Die Justizpolitik möge die aus der wirtschaftlichen Not gebotene Chance nutzen, glaubwürdig zu werden.

Zu Anmerkung 1:

Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Dritte Gewalt Verfassungsrang hat. Ihre Aufgaben sind gesetzlich vorgegeben, nur der Bundesgesetzgeber, nicht der Landeshaushalt kann sie - und auch das nicht beliebig - reduzieren. Wir Richter (und Staatsanwälte) sind dem verfassungsrechtlichen Justizgewährungsanspruch und Art. 6 der Menschenrechtskonvention verpflichtet, d.h. jedes Verfahren ist zügig zu betreiben.

Die Verfassung schreibt nicht vor, wieviele Behörden und Ämter es zu geben hat, wie hoch die Aufklärungsquote bei Verbrechen sein muß, daß staatliche Milliarden für den Transrapid locker gemacht werden müssen. Sie bestimmt aber kategorisch, daß Justiz gewährt wird, und das heißt dann eben: daß die Verfahren in angemessenerZeit verhandelt und entschieden werden. Diesem Anspruch werden wir nicht mehr im nötigen Maß genügen können, wenn die Sparpläne im Rechtswesen wirklich durchgesetzt werden.

Zu Anmerkung 2:

Die Politik möge sich zu den Realitäten bekennen: Sich zu den Realitäten zu bekennen, heißt u.a., die Wirklichkeit unserer Organisationen wahrzunehmen, die nach wie vor in vielenTeilen veraltet ist. Ein Blick in das Kienbaum-Gutachten zeigt, daß gerade bei den Gerichten vieles im argen liegt. Und was die Organisation der Staatsanwaltschaften betrifft, sie war schon längst einer Begutachtung fällig. Die Ergebnisse werden ähnlich defizitär ausfallen. Es kann doch nicht hingenommen werden, daß Arbeit eines Richters oder Staatsanwalts nur deshalb versandet, weil es nicht genügend Personal in den Geschäftsstellen und Kanzleien gibt oder die Mitarbeiter unter Arbeitsbedingungen des letzten Jahrhunderts leiden.

Zur dritten Anmerkung:

Mehr Glaubwürdigkeit in der Justizpolitik - vielleicht der dringendste Wunsch.

Wie unverantwortlich und geradezu zynisch die Politik mit der Dritten Gewalt umgeht, zeigt sich, wenn es um die Besetzung höchster Richterstellen etwa beim Bundesverfassungsgericht geht. Hier wird Machterhaltung vor Verantwortung für unser demokratisches Gemeinwesen gestellt.

Das Rechtspflegeentlastungsgesetz - das weiß nun jedermann - war ein Flop. Wo sind - so muß man fragen - Richterstellen für die neuen Bundesländer freigesetzt worden? Unter dieser Parole wurde ja das neue Gesetz verkauft. Befremdlich, nahezu skandalös ist es, daß zur wirksamen Entlastung nahezu nichts geschehen ist:

· Am Beweisantragsrecht im Strafverfahren ist nichts Entscheidendes verändert worden.

· Das Gebührenrecht für Anwälte im Strafverfahren ist nicht überdacht worden.

· Für Kapitalverbrechen gibt es nach wie vor einzig eine Revisionsinstanz, für die mittelschwere Kriminalität aber eine zweite Tatsacheninstanz - mit weiterer Revisionsmöglichkeit.

· Man mag darüber streiten, ob die Erhöhung des Streitwerts auf DM 10.000,-- und der Berufungssumme auf DM 1.500,-- berechtigt war. Der Bürger muß sich hier mit einer Instanz bzw. mit zweien begnügen. Umso unsinniger ist es dann aber, daß es etwa in Wohnungseigentumssachen und in Anwaltsgebührensachen noch immer 3 Instanzen gibt.

Lieber Herr Senator Hardraht!

Sie haben ein schweres Amt angetreten; vielleicht ist es seit Jahren der schwerste Amtsantritt. Wir wollen Ihre Last nichtvergrößern, indem wir unsererseits Wünsche und Ansprüche draufsatteln. Wir - die Mitglieder des Hamburgischen Richtervereins - versprechen Ihnen in den auf uns zukommenden schwierigen Zeiten eine faire Partnerschaft. Sie bringen Sachkunde ein und haben unser aller Vertrauen und Sympathie. Zum Schluß die Hoffnung, daß wir in drei - wiederum drei! - Einschätzungen einig sind und daß Hamburg mit Ihrer Hilfe das Seine dafür tut:

· Kein neues Gesetz darf verabschiedet werden, daß die Ansprüche der Bürger (und auch den Personalbedarf bei den Gerichten) erhöht.

· Maßhalten in der Schaffung neuer Straftatbestände und in der Veränderung der vorhandenen tut not. Wenn die politische Rhetorik sich in das Versprechen immer neuer und weiterer strafrechtlicher Erfindungen flüchtet, dann gehört hierzu Fachkunde. Allzu große Umtriebigkeit im justizpolitischen Raum schadet der Justiz und dem Gemeinwesen gleichermaßen.

· Das letzte und dritte betrifft nur Hamburg: Ärger gehört zum Geschäft, und daß die Hamburger Justiz im letzten Jahr zumal - dergleichen reichlich gehabt hat, ist kein Grund zur Larmoyanz. Wir, die Richter und Staats-anwälte sind "Manns genug", uns unserer Haut zu wehren, ohne deshalb Pannen (die nie ganz zu vermeiden sind) zu beschönigen. Dann ist immer die Frage, ob Tatbestände (sofern es solche sind und keine Seifenblasen) gelassen erörtert werden oder aus irgendwelchen Gründen politischer oder sonstiger Art Wind gemacht und ins Feuer geblasen wird. Insofern sind wir der Hoffnung - nein: hier sind wir von vornherein völlig sicher! - daß Sie für einen ruhigen und sachlichen Gang der Dinge sorgen werden, den die Justiz braucht und auf den sie Anspruch erheben darf.

Der Hamburgische Richterverein hat nach seiner Satzung das Interesse der Rechtspflege wahrzunehmen. Das haben wir mit Ernsthaftigkeit in den vergangenen Jahren getan. Unsere großartige Stadt Hamburg braucht eine verläßliche und liberale Justiz; wir werden das unsere tun, sie ihr zu erhalten!

Hamburg, 16. Februar 1994

Dr. Makowka