(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/95) < home RiV >
Ostpreußen in Hamburg

In der Zeit vom 03. bis 12.06.1994 besuchte eine Gruppe von 16 Hamburger Richtern und Staatsanwälten auf Einladung des dortigen Präsidenten des Stadtgerichts Königsberg. Im Mitteilungsblatt Nr. 1/1995 habe ich über diese Reise berichtet.

Auf den Tag genau ein Jahr später luden wir all diejenigen nach Hamburg ein, die uns so liebevoll in Ostpreußen betreut hatten. Der Andrang war groß. Wir durften 30 Gäste aus Ostpreußen empfangen, Kolleginnen und Kollegen aus Königsberg, Cranz, Rauschen und Tilsit - teilweise mit Familienangehörigen.

Nach einem feinsinnigen System waren die Gäste auf verschiedene Gastgeber verteilt.

Für uns war es eine harte Woche. Der nicht nur auf juristischen Gedankenaustausch beschränkte Besuch zog sich oft bis in die späte Nacht hinein. Viele von uns sanken erschöpft in sich zusammen, als wir die Gäste am 10.06.1995 nachmittags am Dammtorbahnhof verabschiedet hatten.

Wollte ich die Eindrücke und Erlebnisse eines jeden Hamburger Gastgebers wiedergeben, es käme nicht mehr heraus als ein "schön", "toll" oder "beeindruckend". Und es ist schon ein Unterschied, ob wir - wie in Ostpreußen geschehen - gemeinsam mit unseren russischen Freunden durch die herrliche Landschaft nach Cranz, Rauschen oder zur kurischen Nehrung fahren, oder ob wir unsere Gäste per Pkw oder U-Bahn einzeln zu den jeweiligen Veranstaltungen karren. Meine ostpreußisch verklärte Brille läßt manches in einem anderen Licht erscheinen.

Slawa, unser Königsberger Gitarrenspieler, griff während der ganzen Woche immer wieder in die Saiten und sang den Hamburgern ein Stück Rußland hinein. Es gab tolle Feste, das schönste soll bei Gerhard Schaberg gewesen sein. Unvergeßlich aber auch der Abend beim Verwaltungsgericht auf Einladung der Ostpreußen, ganz nett soll auch das Treffen bei mir im Hause gewesen sein, auf welchem bis in die späte Nacht zu Slawas Gitarre gesungen wurde, alles getrübt ein wenig durch die Tatsache, daß ich die russische Fahne in der Auffahrt verkehrt herum aufgezogen hatte, so daß sie mehr der französischen Trikolore ähnlich sah. Und unsere russischen Gäste in ihrer Trink-, Tanz- und Sangesfreudigkeit füllten die angebotene Fröhlichkeit mit russischer Seele. Von den Sorgen und Nöten ihres Landes, ihren eigenen schwerwiegenden Problemen, ließen sie sich kaum etwas anmerken. Es gab allerdings einen Moment, in dem etwas anderes durchschimmerte: Es war der Besuch des Konzentrationslagers Neuengamme und des russischen Friedhofs am 08.06.1995. Bei der Vorbereitung des Programms hatten wir lange darüber diskutiert, ob wir eine Fahrt nach Neuengamme anbieten sollten. Die Entscheidung erwies sich nach dem Urteil aller unserer russischen Gäste als richtig. Ich selbst konnte an der Fahrt nicht teilnehmen. Als ich jedoch einen Tag danach meine Gäste auf den Besuch des Konzentrationslagers ansprach, brach es bei Valentina und Kostja heraus: Beide hatten in jener Zeit ihnen nahestehende Angehörige verloren.

Das fachliche Programm bot viel Abwechslung: Der Besuch bei Justizsenator Hardraht, der die Hamburger Begegnung finanziell gefördert hatte, bei OLG-Präsident Rapp, die Teilnahme an Sitzungen am Sievekingplatz, der Vortrag von Prof. Dr. Giering zum Thema "Rechtskultur und Juristenausbildung", der Besuch der Universität Hamburg mit Prof. Dr. Luchterhand, welcher im fließenden Russisch über die Entwicklung des Osteuroparechts in jüngster Zeit berichtete, schließlich der Vortrag und die Besichtigung bei der Hypothekenbank. Unsere russischen Kolleginnen und Kollegen nahmen an allen Veranstaltungen mit hoher Disziplin vollzählig teil; sie diskutierten kenntnisreich und mit großem Interesse. Ich glaube, wir Hamburger haben uns auf unseren zahlreichen Auslandsreisen bisweilen schwächer, vielleicht auch arroganter, dargestellt.

Immer wieder im Mittelpunkt standen natürlich unsere jungen, charmanten Dolmetscherinnen Mascha und Tanja, die ebenso wie in Königsberg die Hauptlast bei den Treffen trugen und denen nach langen Übersetzungen die Erschöpfung anzumerken war. Nicht viel anderes galt für die Organisatoren der Hamburger Woche, Frau Rokita und Herrn Otto, die sich mit unendlicher Mühe auf den Gegenbesuch vorbereitet hatten und ihn begleiteten. Bei den schönen russischen Liedern, die Slawa immer wieder anstimmte, fiel mir das Lied "Freundschaft" von Simon Dach ein ("Der Mensch hat nichts zu eigen ..."). Beim Abschiedsfest in der schönen Halle des Deutschen Hydrographischen Instituts wollte ich das Lied vorlesen. Es war gut, daß ich das unterließ."Du bist in Hamburg", sagte ich mir, "und nicht in Königsberg."

Roland Makowka