(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/98) < home RiV >
Der folgende Beitrag des Kollegen Wolgang Hirth schildert den Verlauf der Veranstaltung am 17. November 1998 mit dem Titel:
Ökonomisch gesteuerte Justiz
- noch unabhängig?
..........so lautete das Motto der Tagung vom 17.11.1998 zum zweijährigen Bestehen des Projekts Justiz 2000. Die Grundbuchhalle war bis in den 1. Stock gefüllt. Der Projektgründer Senator aD Prof. Hoffmann-Riem war zugegen, enthielt sich aber jeder öffentlichen Äußerung. Zu diesem guten Stil bestand Gelegenheit, weil die Sache auf dem Podium gut vertreten war: einführende Worte der Senatorin Dr. Peschel-Gutzeit, Referat des Richterbundsvorsitzenden Voss, Moderation durch den OLG-Präsidenten Rapp, "Experten": Mose, Schönfelder, Stolle und Wagner. Die Volkswirtin Stolle ist Mitverfasserin des Handbuchentwurfs zum Controlling in der Hamburger Justiz, das das Neue Steuerungsmodell (NSM) in diesem Bereich umsetzen will (vgl. MHR 3/98, 9). Der Verwaltungsrichter Wagner ist Mitverfasser des 200seitigen Berichts der Arbeitsgruppe II am VG Hamburg, die das NSM ablehnt. Beiden Berichten wurde ein Platz auf der Internet-Homepage des Richtervereins angeboten. Davon Gebrauch gemacht hat bislang nur die VG-Arbeitsgruppe. Dieser hochfundierte Bericht ist dadurch auch für Sie, verehrter MHR-Leser, zugänglich (www.Richterverein.de).

 Dr. Peschel-Gutzeit
Die Senatorin verwies auf die schlechte Haushaltslage, stellte die Vorzüge globaler Steuerung gegenüber Einzelsteuerung dar (Stärkung dezentraler Einheiten) und propagierte die Pilotierung in Einzelschritten. Die dezentrale Mittelverwaltung sei für große Teile der Sach- und Fachausgaben bereits eingeführt. Bis 1 % der nichtbenötigten Personalausgaben dürften für Sachausgaben verwendet werden. Die Dezentralisierung habe bei der Justizbehörde zu einer Verschlankung um 47 Personen geführt. Das VG habe durch Nachverhandlungen zum Mietvertrag eine deutliche Kostensenkung erreicht und dürfe 50 % des Vorteils behalten zur PC-Vernetzung.

Schließlich konnte die Senatorin verkünden, daß sie das Budgetantragsrecht der Gerichte bei gesondertem Gerichtsbudget in der letzten Woche auf die Tagesordnung der Justizministerkonferenz gebracht habe, daß dies dort aber auf geteiltes Echo gestoßen sei.

Voss
Der Richterbundsvorsitzende trug seine in DRiZ 98, 379 dargelegten Argumente vor und paßte sie - wo sich die Gelegenheit bot - den Hamburger Verhältnissen an.

Modernisierung der Justiz sei notwendig. Die Richter dürften sich hinter ihrer Unabhängigkeit nicht verstecken, sondern müßten aktiv an der Erneuerung mitwirken, damit Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit gar nicht erst entstünden. Zwar wollten die NSM-Befürworter die Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen; nicht jede Steuerung durch die Verwaltung sei schon ein Eingriff in die Unabhängigkeit. Es müsse aber institutionell garantiert werden, daß ein Eingriff auch in Zukunft nicht geschehe.

Immer wieder bezog sich Voss auf Hoffmann-Riem, stimmt ihm oberflächlich zunächst zu, um bei der Analyse dann seine Kritik zu formulieren. So beantworte die Forderung nach einer "Modernisierung" der richterlichen Unabhängigkeit nicht die Frage, wie diese Unabhängigkeit denn sonst aussehen solle. Mißbrauch der Unabhängigkeit sei natürlich zu verurteilen. Dies ändere aber nichts daran, daß die Unabhängigkeit in ihrer jetzigen Ausgestaltung nicht disponibel sei.

Bei den Bemessungsgrundlagen für die Budgetzuteilung dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, daß auch mit einzelnen scheinbar teuren "Produkten" der Justiz Rechtssicherheit und -frieden geschaffen werde. Wer demgegenüber nur Kostensenkung als Hauptziel habe, bewirke viel höhere gesellschaftliche Folgekosten.

Wenn die Verwaltung die Höhe der zugeteilten Mittel davon abhängig machen wolle, ob mit diesen Mitteln gute Produkte hergestellt werden, frage sich, wie die Qualität richterlicher Arbeit denn bewertet werden solle (ein Punkt, der im Publikum verbale Reaktionen auslöste und von dem auch Rapp sagte, er wolle dies nicht mit der Justizbehörde, sondern allenfalls unter Kollegen erörtern). Unabdingbar sei es deshalb - so Voss - den Gerichten mehr Selbstverwaltung zu geben. Insbesondere an den "Schnittstellen" seien neue Gremien mit richterlicher Unabhängigkeit zu schaffen. Auch könnte die Zuständigkeit des Gerichtspräsidiums erweitert werden und ein Budgetantragsrecht der Gerichte eingeführt werden. Der Selbstverwaltung zuwiderlaufen würde es, wenn ein Gerichtsmanager in der Form eingeführt würde, daß er nicht dem Gerichtspräsidenten, sondern der Justizsenatorin unterstellt ist (wie es in der Hamburger Bürgerschaft beantragt ist, vergleiche MHR 3/98, 14; Anm. des Verfassers).

Eine weitere Gefahr sei es, daß die Kollegen Kostensenkung als Primat verinnerlichen, wenn dies als Beurteilungskriterium so verwendet würde, wie heute schon die Erledigungsquote als Beurteilungskriterium zulässig sei. Auch die ausschließlich auf die Geeignetheit ausgerichtete Personalauswahl werde unterlaufen, wenn aus Kostengründen auf Geschlecht, Alter und Familienstand hintergründig geachtet würde (zu den Planungen des Hamburger Senats, die einzelnen Dienststellen an den Lasten der Versorgungsbezüge zu beteiligen vgl. MHR 1/97, 13; Anm. des Verfassers).

Den auch in MHR 2/98, 30 schon behandelten Aufsatz des Referendars von Hoffmann-Riem, Eifert, zerpflückte Voss. Insbesondere warnte er vor einem gerichtsinternen Wettbewerb in der Art, wie ihn Eifert propagiert. Auch aus dem Publikum wurde beschrieben, welche unsinnigen Folgen ein nicht in erster Linie an den gesetzlichen Aufgaben orientierter Wettbewerb haben würde.

Kritik formulierte Voss an bestimmten Hamburger Gefahren, die sich aus dem Entwurf des Controlling-Handbuchs ergäben. Dies betreffe insbesondere:

die gegenüber anderen Bundesländern viel verschwommenere Definition der Grenze zum Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit.

Mose:
Der Präsidialrichter des Landgerichts verwies auf seine praktische Erfahrung mit der noch nicht output-orientierten dezentralen Mittelverwaltung. Die Selbstverwaltung sei dadurch gestärkt worden. Früher quälende Entscheidungsprozesse in Personalfragen mit der Justizbehörde hätten sich deutlich erleichtert. Die Entscheidungsgrundlagen seien objektiver und transparenter geworden. Das verbessere auch die Position gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber (das bestätigte im anschließenden Senatsempfang die Justizsenatorin unter Hinweis auf die bewilligten Mittel für das Insolvenzgericht). Kostenfragen seien wichtig, aber nicht beherrschend. Ein "Runterbrechen" der Budgetierung auf den Spruchkörper sei nicht beabsichtigt.

Stolle:
Die Volkswirtin aus der Justizbehörde versuchte, die Angst vor dem gläsernen Richter zu nehmen. Auch bislang gebe es schon Statistiken, die auf den einzelnen Richter "runtergebrochen" sind oder werden können. Die im neuen Controlling zu erhebenden Daten seien weniger "gefährlich" als die alten Daten.
Die Steuerung setze nicht am Ergebnis richterlicher Tätigkeit, sondern bei der Art und Weise der Leistungserbringung an.

Wagner:
Der Richter am VG Hamburg vertrat auf dem Podium den Part der Kritiker. Die Kosten- und Leistungsrechnung sei teuer in der Durchführung (auch Rapp bestätigte, daß für die Erhebung und Auswertung hochdetaillierter Daten zuwenig Geld und Personal vorhanden sei). Controlling sei zwar nicht nur Kontrolle, aber auch Kontrolle, und zwar mit verhaltenslenkender Wirkung. Dies verstoße gegen die Gewaltenteilung und gegen die richterliche Unabhängigkeit.

Würde das NSM so auf die Justiz angepaßt, daß die verhaltenslenkende Wirkung ausgeschlossen wird, so wäre der Rest des NSM wertlos. Es gebe hinreichende Alternativen zum kritisierten Modell: dezentrale Mittelverwaltung (bereits erfolgt), Flexibilisierung des Haushaltsrechts (bereits erfolgt), Kostentransparenz ohne Außensteuerung, Ausbau der Geschäftsverteilungspläne, Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten.

Schönfelder:
Der Projektleiter von "moBil2" beim Senatsamt für Bezirksangelegenheiten (vormals im Projekt ProVI der Finanzbehörde) nahm zunächst Stellung zur Kritik, die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) berücksichtige nicht die unmeßbaren übergeordneten Folgewirkungen guter Leistungen der Justiz. Er verwies auf die Privatwirtschaft, die neben der KLR auch andere Faktoren berücksichtige wie die Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern und den Unternehmensbeitrag zur Gesellschaft.
Die Qualitätskontrolle sei zentral. Dies könne und müsse die Justiz selber machen.
Keiner wolle den gläsernen Richter. Dennoch sei es eine Schlüsselfrage, wer welche Informationen bekomme (Aggregation).

Diskussion:
Die kritischen Stimmen aus dem Publikum überwogen deutlich. Die Ängste vor Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit wirkten nicht vorgeschoben oder als Ausdruck von Mißbrauch, sondern waren zumindest diskussionswürdig und oftmals mit Beispielen und Belegen untermauert. Aus dem Publikum wurden Passagen aus Texten der Justizbehörde zitiert, die einen Willen zur direkten Einflußnahme auf Prozesse zeigten. Vom Podium wurden diese Textstellen als mißverständlich und überarbeitungsbedürftig eingestuft.

Wolfgang Hirth