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Humanes Sterben

"Wie möchten Sie sterben?" lautet der 35. der Proust’schen Fragen, die sich das FAZ-Magazin wöchentlich von prominenten Zeitgenossen beantworten läßt. "Gar nicht!", heißt es dort gelegentlich: abwehrend, ausweichend, trotzig, zuweilen auch die Frage veralbernd. Viel häufiger aber: "plötzlich und unverhofft; schmerzlos und schnell; still und gefaßt; bewußtlos und unbemerkt; auch: klaren Geistes, sehenden Auges; nach vollbrachtem Leben; daheim zuhause; Subjekt geblieben – nicht Objekt geworden; ohne lang – quälende Prozeduren"; usw. usw.: Soviele Köpfe, soviele Meinungen: ein Gewirr dissonanter Stimmen!

Und doch ist es unverkennbar, daß gemeinhin hinter das Thema, zu welchem Kultur und Justiz am 21. April d.J. in die Grundbuchhalle eingeladen hatte:

Humanes Sterben im Zeitalter der
Apparatemedizin –

ein großes, ratloses Fragezeichen gesetzt wird.

Mors certa, hora incerta: Dieser Satz, der den Geist der Jahrtausende atmet, klingt souverän und vertraut. Aber die Ungewißheit, von der er spricht, geht über die pure Zeitlichkeit der (dort nur als Moment gedachten) Stunde weit hinaus. Diese Stunde ist sozusagen das Schlußstück der heute stets in Anspruch genommenen, nunmehr am Ende jedoch undefinierbar und ambivalent gewordenen "Lebensqualität".

Der Ratlosigkeit konnte auch die Diskussion der "Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" nicht abhelfen. Aber wie hätte sie es sollen?

Das Podium war fachkundig (vielleicht zu zahlreich) besetzt: Roland Makowka, als Ombudsmann am UKE mit dem Thema wohlvertraut, moderierte. Links und rechts: drei Mediziner (Dr. Montgomery, Präsident der Hamburger Ärztekammer, Dr. Füllekrug, Intensiv-Mediziner am UKE und Dr. Kausch, Internist); ein Theologe (Dr. Gundlach, St. Johannis) und weitere zwei Juristen (Frau Lübbe-Gotscholl als Vormundschaftsrichterin und Prof. Heinz Giehring, Universität Hamburg).

Unmöglich, die maßgeblichen Probleme und den Gang der zuweilen sehr lebhaften Debatte zu skizzieren, ging es doch um Letztes und ganz Persönliches, das eigentlich Intime (die abgedroschenen sexualia, die unter diesen Begriff subsumiert zu werden pflegen, erscheinen dagegen wie vertretbare Waren).

Am Sterbebett steht (idealtypisierend gesprochen) der Arzt, und neben ihm, als grauer "virtueller" Schatten ein Jurist: der Staatsanwalt; so jedenfalls meinen und empfinden es viele Ärzte. Wenn man sich mit unserer einschlägigen Literatur über ärztliche Grenzentscheidungen vertraut macht (ärztliche Garantenstellung, aktive oder passive Sterbehilfe, Handeln oder Unterlassen, Patientenwille: seine Ermittlung oder Verfehlung, Hilfe zum Suicid oder Tötung auf Verlangen – und vieles mehr) und dazu auch die jeweils wahrlich beklemmenden Sachverhalte studiert, dann leuchten diese Sorgen zunächst ein.

Und doch sind sie etwas übersteigert, weil die zur Literatur gewordenen "Fälle" (in denen ärztliche Entscheidungen auch keineswegs durchweg mißbilligt werden) das Verhältnis Arzt/Patient, wie es in den Lebens- und Sterbensnöten von Patienten in aller Regel wirklich aussieht, keineswegs widerspiegeln. Sie sind Ausnahmen: Vorgänge, die aus jeweils besonderen Gründen, zuweilen guten, zuweilen auch schlechten, rechtlicher Durchleuchtung unterworfen worden sind.

Die demographisch – soziologische Ausgangslage war zu allgemeinkundig, um auf dem Podium mehr als kurz skizziert werden zu müssen. Fast jeder weiß, aus mehr oder weniger nah vermittelter eigener Erfahrung, daß zumal in Krankenhäusern und Heimen, aber nicht nur dort, schwer kranke, auf den Tod sieche, hoffnungslos hinfällige hochbetagte Menschen, wenn es schließlich zum Äußersten kommt, oft "nicht mehr wollen", und sich – im Sinne unseres Themas! – vor den Apparaturen udgl. Technik ängstigen und grauen und letztlich wortlos auf die humane Vernunft und lebenskluge Einsicht von Arzt und Fachpersonal vertrauen. Die Erfahrung besagt aber zugleich, daß dieses Vertrauen in aller Regel weder enttäuscht noch mißbraucht wird. So auch die Ärzte auf dem Podium, die damit auf keinen Widerspruch, auch nicht des Publikums, stießen.

Die grassierenden Ängste gehen deshalb vermutlich zu weit. Aber sie sind weder prinzipiell noch immer grundlos:

Die moderne Medizin kann, wenn es zum Sterben kommt, gegen das Verlöschen geistig-seelischen Lebens nichts ausrichten; aber sie hat Mittel genug, die körperlichen Funktionen stabil zu halten und sie noch lange weiterlaufen zu lassen. Sie vermag andererseits insbesondere durch starke Schmerzmittel Leiden zu mindern – unter Inkaufnahme eines damit verknüpften früheren Todes. Was tun? Der Wille des Patienten, nicht das Urteil des Arztes, soll entscheiden. So der unbestrittene Grundsatz. Wie aber kann der Wille in Erfahrung gebracht werden: dann, wenn der Moribunde ihn, wie sehr häufig, nicht (meist: nicht mehr) äußern kann? Die neu konzipierten "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" versuchen, eine Antwort zu geben. Hier einige Auszüge:

Eine Präambel nennt Grundsätze:

"Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen.

Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht jedoch nicht unter allen Umständen. Es gibt Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr indiziert sind, sondern Begrenzung geboten sein kann. Dann tritt palliativ-medizinische Versorgung in den Vordergrund. Die Entscheidung hierzu darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden.

Unabhängig von dem Ziel der medizinischen Behandlung hat der Arzt in jedem Fall für eine Basisbetreuung zu sorgen. Dazu gehören u.a.: Menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst.

Art und Ausmaß einer Behandlung sind vom Arzt zu verantworten. Er muß dabei den Willen des Patienten beachten."

Speziell zu den ärztlichen Pflichten bei Sterbenden heißt es:

"Der Arzt ist verpflichtet, Sterbenden, d.h. Kranken oder Verletzten mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist, so zu helfen, daß sie in Würde zu sterben vermögen. Die Hilfe besteht neben palliativer Behandlung in Beistand und Sorge für Basisbetreuung.

Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, daß eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf. Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht." ...

"Bei Patienten mit infauster Prognose, die sich noch nicht im Sterben befinden, kommt eine Änderung des Behandlungszieles nur dann in Betracht, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist und eine lebenserhaltende Behandlung nur Leiden verlängert. An die Stelle von Lebensverlängerung und Lebenserhaltung treten dann palliativ-medizinische und pflegerische Maßnahmen. Die Entscheidung über Änderung des Therapielziels muß dem Willen des Patienten entsprechen."

Nun zur Frage, wie der wiederholt als maßgeblich bezeichnete aktuelle Wille zu ermitteln ist:

"Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den aktuell geäußerten Willen des angemessen aufgeklärten Patienten zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen. Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu überdenken.

Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die Erklärung des gesetzlichen Vertreters, z.B. der Eltern oder des Betreuers oder des Bevollmächtigten maßgeblich. Diese sind gehalten, zum Wohl des Patienten zu entscheiden. Bei Verdacht auf Mißbrauch oder offensichtlicher Fehlentscheidung soll sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden (eben deshalb saß auch Frau Dr. Lübbe-Gotschall mit auf dem Podium!).

Liegen weder vom Patienten noch von einem gesetzlichen Vertreter oder einem Bevollmächtigten Erklärungen vor (dazu wird dort unten im Text ein besonderer Absatz V. betr. "Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungs-verfügungen" angefügt) oder können diese nicht rechtzeitig eingeholt werden, so hat der Arzt so zu handeln, wie es dem mutmaßlichen Willen des Patienten in der konkreten Situation entspricht. Der Arzt hat den mutmaßlichen Willen aus den Gesamtumständen zu ermitteln. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei einer früheren Erklärung des Patienten zu. Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Patienten können seine Lebenseinstellung, seine religiöse Überzeugung, seine Haltung zu Schmerzen und zu schweren Schäden in der ihm verbleibenden Lebenszeit sein. In die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollen auch Angehörige oder nahestehende Personen einbezogen werden.

Läßt sich der mutmaßliche Wille des Patienten nicht anhand der genannten Kriterien ermitteln, so handelt der Arzt im Interesse des Patienten, wenn er die ärztlich indizierten Maßnahmen trifft."

Ärzte erleben nicht ganz selten, daß ein früher geäußerter Wille offensichtich nicht mehr gilt, wenn es wirklich soweit ist und das Ende kommt: aufflammender Lebenswille, Sterbensangst und (vielleicht nur illusionär) erwachte Hoffnungen schwemmen dann zuweilen alle früheren Stimmungen und Erklärungen fort. Deshalb heißt es in den Grundsätzen:

"Patientenverfügungen, Vorsorgevoll-machten und Betreuungsverfügungen sind eine wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes. ..."

Dies sind sie, aber kaum mehr! So das ärztliche Podium, so grundsätzlich auch die Rechtsprechung, die aber – wie Klaus Kutzer, Vorsitzender des 3. BGH-Strafsenats unlängst in einem Rechtsgespräch über Sterbehilfe (ZRP 1997, 117) erkennen ließ – geneigt ist, den genannten Verfügungen doch wohl zunehmend größeres Gewicht beizumessen.

Wer sich also seine Vorstellungen darüber gebildet hat, was er in bestimmten (immerhin typisierbaren) Situationen will oder gerade nicht will, der sollte überlegen, welche Verfügungen er beizeiten niederlegt. Dafür bietet die Bundesärztekammer schriftliche Vorschläge als Hilfen an. Auch unser Ehrenvorsitzender Roland Makowka hat kraft seines neuen Amtes darüber gründlich nachgedacht (und gelegentlich vorgetragen) und würde niemandem seinen persönlichen Rat verweigern. ...

Die Diskussion – auf dem Podium und mit dem teils offenbar medizinisch fachkundigen Publikum – berührte vieles: Was soll beim "non liquet" der Willensermittlung geschehen? Wer darf in hoffnungslos sich dahinschleppenden Fällen entscheiden, die künstliche Sondenernährung zu beenden, um – mit letaler Folge – nur noch Tee zu verabreichen (vgl. den Sachverhalt zu BGH vom 13.09.1994 in NJW 95, 205 = NStZ 95, 205; OLG Frankfurt vom 15.07.1998 in NJW 98, 2747)? Kann der schwarze Peter gegebenenfalls auch beim Vormundschaftsgericht abgeladen werden? Die entsprechende Anwendung des § 1904 II BGB mit dieser Folge (so BGH aaO.; vgl. allgemein Palandt 58. Aufl. zu § 1904, Rz. 9 a) wurde auf dem Podium von Frau Lübbe-Gotschall mit Recht problematisiert (vgl. Judith Knieper: Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen: NJW 98, 720; Walter Seitz: Das OLG Frankfurt und die Sterbehilfe, ZRP 98, 417; jüngst FAZ vom 23.04.1999: "Richter dürfen nicht über Leben und Tod entscheiden" mit Anführung eines neuen Urteils des LG München I, das dem OLG Frankfurt ausdrücklich entgegentritt).

Am 19. Dezember 1981 erfuhr der 56jährige Strafrechtslehrer Peter Noll (Alternativ-Professor; neben vielem sonst: Die ethische Begründung der Strafe, 1962; Gesetzgebungslehre 1973; der ärztliche Eingriff in strafrechtlicher Sicht, 1956), daß er an Blasenkrebs erkrankt sei. Die angeratene Operation lehnte er ab, weil sie seinen Lebens- und Todesvorstellungen widersprochen hätte. In der Folgezeit führte er bis kurz vor seinem Tode am 2. Oktober 1982 über sich und seine Reflexionen Protokoll: "Diktate über Sterben & Tod", die – einschließlich der Totenrede seines Freundes Max Frisch – 1984 (pendo-verlag, Zürich) als Buch erschienen. ... Mithin ein ganz ungewöhnliches Zusammentreffen von Situation und mehrfacher Kompetenz. Rein juristisch aber insofern ganz unproblematisch, als der Leidende hier seinen Ärzten von vorn herein Skrupel und Entscheidungsnöte zu ersparen gewußt hatte.

Wie aber, wenn der Krankenhauspatient nichts anderes mehr kann, als den Arzt um das Ende zu bitten – zum Beispiel vermittels eines Unterlassens, das dem Tun und Handeln rechtlich gleichsteht? Die Präambel der "Grundsätze" läßt keinen Zweifel: "Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht", und sie befindet sich hier in Übereinstimmung mit allen ärztlichen Grundsätzen, wie sie Dr. Montgomery auf dem Podium dann auch vortrug. Die strafrechtlich wohl noch h.M. beruft sich dazu auf § 216 StGB, der Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt. Aber diese Argumentation ist wohl dürftig, denn das Gesetz besagt nicht mehr, als daß ein Verlangen allein (z.B. wegen ersten Liebeskummers ...) eine Tötung nicht rechtfertigt. Ist es aber eine Grenzsituation von der Art, wie sie uns hier beschäftigt, die den Sterbenswunsch motiviert und dringlich macht, dann tritt zum bloßen Wunsch eine Güterkollision von so großer Wucht hinzu, daß sie das Gesamtbild grundlegend zu ändern vermag (Rechtsgedanke des § 34 StGB). So schon Kutzer in ZRP 1997, 117 ("In besonderen Ausnahmefällen könnte auch eine Tötung auf Verlangen straffrei sein") und in der Sache auch Dr. Kausch bei der Podiumssdiskussion (u.U. Einstellung einer künstlichen Ernährung). So läßt das Strafrecht den Ärzten zuweilen einen weiteren Freiraum, als diese selbst ihn wahrnehmen.

Aber es ging nicht nur um Rechtliches: Was ist – als Erleben des Moribunden – denn "Verhungern" mangels weiterer Nahrungszufuhr durch die Sonde? Wird dies wirklich als Belastung, Entzug, gar als Qual registriert und empfunden? Oder entbindet der verstörende Begriff "Verhungern – Lassen!" hier Emotionen, die ihr Maß gar nicht vom konkreten Vorgang empfangen?

Perspektivwechsel:

Der Wille – auch der unbedingte Lebenswille – des Patienten ist heilig, dem Grundsatz nach. Aber wie weit und auf welche Dauer kann dieses Prinzip auf wirkliche Geltung zählen? Die Gesellschaft kann nicht all ihre Mittel für die Gesundheit aufwenden, und das dort Eingesetzte kann nicht alles an der (extrem kostenträchtigen! vgl. z.B. Coeppicus ZRP 1998, 251 Fn. 3!) Grenze, die uns hier beschäftigt, verausgabt werden.

"Die Entscheidung hierzu (scil: Lebenserhaltung oder nur noch palliativ-medizinische Versorgung) darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden", steht oben in der ärztlichen Präambel. Wer möchte dem spontan nicht beipflichten. Stellt man sich aber den Konfliktfall wirklich dergestalt vor Augen, daß rettbares Leben vor dem Saal warten muß, weil und während verlöschendes die Apparate besetzt hält, kommt man ins Grübeln. Heinz Giehring kam darauf sehr behutsam zu sprechen, ohne sich durch die Euthanasiekeule, die in Deutschland unter Hinweis auf die Nazizeit gar zu behende geschwungen wird, irre machen zu lassen. ...

Wer bei uns durch alle Untiefen der §§ 218 ff. StGB hindurch ins Leben gerät, tritt der Gewerkschaft der Geborenen bei. Sollte der Gesetzgeber, der über diesen Anfang in wiederholten Anläufen sein mühsames Regelungsgeflecht gebreitet hat, aufgefordert werden, auch über das Ende des Lebens demnächst mehr zu bestimmen als das wenige, das jetzt im Gesetzbuch steht? Und muß er dann am Ende die gleichen, oder gerade die entgegengesetzten Prinzipien zur Geltung bringen als am Anfang? Und was in aller Welt würde das eigentlich - exakt und genau! – besagen?

Die Vorstellung, daß unser ebenso regelungswütiges wie entscheidungsschwaches Parlament auch hier – ins Ende ! – hineinfuhrwerkt, kann nur Alpträume wecken. Deshalb verdient Kutzers Votum: "Wir brauchen keine neuen Gesetze zur Sterbehilfe!" (ZRP 97,11) bei weitem den Vorzug.

Aber genau deshalb: weil hier (ohne förmliche Gesetzgebung) ein hohes Maß gesellschaftlicher Verständigung ganz unverzichtbar erscheint, müssen wir – Ärzte, Pflegepersonal, Psychologen, Patienten, Seelsorger, Juristen: alle! – diesen dornigen Acker immer wieder behutsam und redlich vermessen und pflügen. Die Probleme werden wachsen, beängstigend wachsen, keineswegs verschwinden. So standen jetzt ein paar wichtige Fragen – z.B. nach Todeszeitpunkt, Organspende und Organentnahme – nicht mit zur Debatte. Aber wer wollte bestreiten, daß sie sich mit unserem Thema ganz vertrackt verknüpfen können !

Die Veranstaltung in der Grundbuchhalle war ein anregender und gelungener Beitrag; er sollte nicht der einzige bleiben.

Günter Bertram