(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/99) < home RiV >

Mitmachen - mitgewinnen ?
- Die Richterschaft im Reformprozeß -
Sachverhalt 1:

Im Februar wurden (insbesondere) die Gerichtsleitungen wieder einmal in einem Hotel in Ratzeburg versammelt. Wunschergebnis der Justizbehörde war diesmal nicht ein "Ratzeburger Protokoll", sondern die Unterzeichnung eines "Eckpunktepapiers", womit die Präsidenten gleichsam ihre Blanko-Unterwerfung unter das sog. Controlling-Handbuch (vgl. dazu MHR 3/98; in Ratzeburg freilich in einer den Betroffenen nur vorangekündigten überarbeiteten Fassung, welche auch heute noch nicht vorliegt) sowie unter unbestimmte künftige Konzepte zur Durchsetzung des Neuen Steuerungsmodells in den Gerichten erklärt hätten. Dieser Schritt, der das auch förmliche Ende einer bislang noch kaum sichtbar gewordenen Grundsatzdiskussion über das Reformkonzept bedeutet hätte, wurde offenbar von den Betroffenen verweigert. Allerdings wurde beschlossen, eine sogenannte Kosten- und Leistungsrechnung - angelehnt an das Konzept nach dem Controlling-Handbuch - neben seiner Erprobung am Amtsgericht nun auch am OLG, bei der Staatsanwaltschaft am LG sowie beim Verwaltungsgericht zu versuchen. Da die Kosten- und Leistungsrechnung "controllingorientiert" ist, ist damit durchaus ein weiterer gezielter Schritt in Richtung auf die Durchsetzung des NSM zu gewärtigen.

 
Sachverhalt 2:

Sinngemäß sagte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Voß, im Rahmen der Podiumsdiskussion am 17. 11. 1998 in Hamburg, die Richterschaft solle sich nicht immer mit dem Verweis auf das Grundgesetz gegen Justizreformen stemmen, sondern diese mitgestalten. Sonst drohe der Reformzug ohne sie abzufahren.

Auch andernorts hört man zur Begründung für das Mitmachen kaum etwas, was Überzeugung von der Richtigkeit der Reformkonzepte vermitteln wollte, sondern regelmäßig nur das Argument, daß ansonsten die endgültige, in schwindender finanzieller Ausstattung ausgedrückte Ungnade der Justiz-/Finanzverwaltung drohe. Wenn man hingegen fördernd an der Reform mitwirke, könne man auf Belohnungen hoffen.

Fragestellung:

Reichen die referierten Begründungen aus, um Reformgehorsam zu rechtfertigen? Wie sollte sich das Führungspersonal der Richterschaft gegenüber den Konzepten der Justizverwaltungen verhalten, was ist von den bisher sichtbaren Ansätzen, vom "Aufspringen auf den Reformzug", vom "Schaun mer mal", von der "Rosinentheorie" oder von dem "Avantgarde-Modell" zu halten ?

Das von Herrn Voß verwandte Bild vom Reformzug, der ohne uns abzufahren drohe, macht das Problem sehr anschaulich. Was nämlich sollen die mitgestaltungswilligen Richterfunktionäre seiner Ansicht nach tun? Sie sollen auf den Zug aufspringen - um ihn dann mitlenken zu können. Nur: Das Wesen von Zügen ist ihre Gleisgebundenheit; Lenkungsmöglichkeiten sind hier unbekannt. Die einzige Einwirkung des Lokführerkollektivs auf den Fahrzustand besteht im Bremsen oder Beschleunigen - aber immer innerhalb der von den Gleisbauern längst vorgegebenen Richtung. Damit wird deutlich, daß die entscheidende Tätigkeit das Legen der Gleise ist. Nur der Fatalist, der auch die Justizreform als "Zug der Zeit" begreift und damit bestreitet, daß sie willensgesteuertes Menschenwerk ist, oder der Opportunist, der Gestaltungsmöglichkeiten allenfalls innerhalb der jeweiligen Vorgaben der Herrschenden sucht, kann sich mit der Aufnahme in die fahrende Lokomotive zufrieden geben. Ist diese Zuspitzung unfair, ist es nicht die Aufgabe des Realisten, nur im Rahmen des Machbaren zu denken ? Jedoch: Dieser Rahmen ist viel weiter, als uns die Vordenker in den Justizverwaltungen glauben machen wollen - es gibt eben nicht die bloße Alternativität von Ewiggestrigkeit und Gefolgschaft für JUSTIZ 2000.

Wer namentlich mit Teilen des Neuen Steuerungsmodells für die Justiz nicht einverstanden ist - und das behaupten Richterfunktionäre wie Gerichtspräsidenten -, der muß konzeptionell vor der Abfahrt gegenhalten, d.h. Weiche und Nebengleis anlegen. Vom fahrenden Zug aus wird es ihm nämlich nicht gelingen, noch an den Gleisen zu biegen; hierbei gerät er nur selbst unter die Räder oder aber bringt den ganzen Zug zum Entgleisen und ist dann tatsächlich der Schuldige für den Totalschaden.

Das Bild von dem Sprung auf den anfahrenden Reformzug erweist sich somit als zwar instruktiv, aber wenig attraktiv, läßt es doch die Aufspringenden allenfalls als Hilfsbremser von Behördens Gnaden erscheinen.

Auch die "Rosinentheorie", d.h. die Vorstellung, Gerichte und Richtervertreter könnten sich aus dem reichhaltigen Reformangebot das ihnen Genehme "herauspicken", verhilft zu keiner zutreffenden Beschreibung ihrer Aufgaben und Möglichkeiten in der Reformsituation. Das zeigt die Entwicklung in Hamburg; der Geschmack an manchen Rosinen ist hier längst durch die Salamitaktik der Justizbehörde verdorben. Der mit Abstand wichtigste Beleg hierfür ist die "Rosine" der dezentralen Mittelverwaltung, die wohl tatsächlich vielerorts zu einem befreiten Aufatmen, rationalerem Geldeinsatz, sogar Einsparungen geführt hatte. Mittlerweile aber präsentiert die Behörde die Rechnung, indem sie gleichsam als Gegenleistung die Hinnahme eines umfassenden Fremd-Steuerungssystems fordert. Dabei ist die neuere, schon wesentlich kleinere "Rosine" die, daß sich die Gerichte den Nasenring, an dem sie künftig gezogen werden sollen, selbst schmieden dürfen.

Ähnliches gilt für die sogenannte Dezentralisierung der Personalverwaltung, die weit über die Übertragung der sinnvoll vor Ort abzuwickelnden Tätigkeiten hinaus so vollständig verordnet ist, daß nunmehr die Gerichte dafür gleichsam eine neue gemeinsame Zentralbehörde (beim OLG) planen.

Anders gewendet: Die Justizverwaltung ist nicht gewillt, den Gerichten nur das an Veränderungen zu bieten, was deren Wünschen entspricht. Vielmehr verfolgt sie ihre eigene, insgesamt durchaus stringente und von Durchsetzungswillen geprägte Reformstrategie. Dazu gehört auch ein breit gefächertes Marketinginstrumentarium, das u.a. die folgende, je nach Reaktion der Betroffenen gestufte Sprachregelung insbesondere zum Neuen Steuerungsmodell (NSM) umfaßt:

Stufe 1: "Jeder profitiert": Diese Reform ist die einmalige Chance zu mehr Eigenständigkeit der Gerichte, zu freierem Zugriff auf Mittel.

Stufe 2: "Wir können über alles reden": Das NSM ist ein Stabilbaukasten; es wird nur nach sorgfältiger Prüfung das jeweils passende Bauteil herausgesucht.

Stufe 3: "Alter Wein in neuen Schläuchen": Die Reform führt zu keinen erheblichen Veränderungen. "Ängste" sind unbegründet; schon bisher sind viele Daten erhoben worden, so daß es zu keiner zusätzlichen Kontrolle kommt. Auch die Outputorientierung gibt es längst.

Stufe 4: "Jetzt müßt ihr aber auch etwas tun": Die Gerichte müssen sich die angenehmen Seiten der Reform (dezentrale Mittelverwaltung) durch Einwilligung in weitere Reformschritte (Controllingsystem, controllingorientierte Kosten- und Leistungsrechnung, Leistungsvereinbarun-gen) verdienen, denn sonst könnten die Vorteile nicht aufrechterhalten werden.

Stufe 5: "Jammerecke": Wer nicht für diese Reform ist, ist überhaupt reformfeindlich, versteckt sich ängstlich hinter der richterlichen Unabhängigkeit und ist nur auf seinen unberechtigten persönlichen Vorteil bedacht.

Stufe 6: "Wir können auch anders": Wenn nicht freiwillig an der Umsetzung dieser Reform mitgewirkt wird, wird sie durch - weniger günstige (zB. hinsichtlich der Ausgestaltung der Berichtspflichten, des Umgangs mit ersparten Mitteln) - Anweisungen der Behörde ausgestaltet und durchgesetzt.

Diese Erfahrungen verleihen dem weiteren Modell von der strategischen Rolle der Richteranführer im Prozeß der Justizreform, dem "Avantgarde-Konzept", zunächst seinen besonderen Glanz.

Wäre es nicht schön, der Kritik an den bisherigen Zuständen einerseits und der Unverträglichkeit des von der geballten Justizpolitik geforderten Reformmodells andererseits dadurch zu entkommen, daß man sich an die Spitze der Reformbewegung setzte und ein eigenes, noch moderneres Reformkonzept präsentierte? Hier läge aber auch gleich der innere Widerspruch. Eine echte Avantgarde existiert nicht von höheren Gnaden, ist nicht getrieben. Sie tut aus freier Überzeugung das, was sie für richtig hält, ohne ängstlichen Blick darauf, ob der Rest folgt. Eine Avantgarde der Richterschaft, die ihre Vorreiterrolle nur zur Umsetzung eines modifizierten NSM einsetzte, verdiente diesen Namen genauso wenig wie eine, die auf andere Weise nur die Politikforderungen nach Steuerbarkeit, Transparenz und Effizienzorientierung zu bedienen trachtete.

Tatsächlich avantgardistisch, aber getreu der grundgesetzlichen Ausrichtung der dritten Gewalt auf den einzelnen Richter, wäre es, eine Aufwertung der Rechtsprechungsfunktion zu fordern (und nicht ihre Lähmung durch den Ausbau der Gerichte zu noch so scheinselbständigen Produktionsbetrieben); folgerichtig wäre eine Ausweitung der Servicefunktion (nicht der Steuerungsfunktion) der zentralen Justizbehörde. Avantgardistisch wäre die Verbesserung des Wissensmanagements für die Richter - in Konsequenz der Erkenntnis, daß "informiertes Werten" der Kernprozeß der Rechtsprechung ist.

Zurück zum wirklichen Leben:

Klar ist, daß schließlich das "Schaun mer mal" zur Selbstpreisgabe des Berufsstandes führen würde. Die alte Regel "wer sich zuerst bewegt, hat verloren", gilt längst nicht mehr.

Es wäre auch verfehlt, die gesamte Verantwortung für die Wahrung richterlicher Belange den Gerichtsleitungen zuzuschie-ben. Wer das tut, verkennt zum einen den erheblichen Loyalitätskonflikt, dem diese durch ihre Doppelrolle als einerseits Spitzenrichter, andererseits Glieder der Justizverwaltungshierarchie ausgesetzt sind, zum anderen ihre Durchsetzungskraft und ihr politisches Gewicht. Letztere dürften erheblich geschwunden sein: Wenn nämlich trotz des einhelligen gegenteiligen Votums aller Befragten die Bürgerschaft dennoch den Wunsch der Justizbehörde unterstützt, einen Gerichtsmanager einzuführen ("zu erproben"), dann wird offenbar den Gerichtsleitungen kein Respekt mehr gezollt. Denn der Gerichtsmanager ist das personifizierte Mißtrauensvotum gegen die Führungs- und Innovationsfähigkeiten der Präsidenten.

Die Orientierung an den Gerichtsleitungen wäre für die Richterschaft aus einem weiteren Grund unzureichend. Das ist die (natürliche) Interessen- und Wahrnehmungsdifferenz zwischen Spruchrichterschaft und Richtern in der Verwaltung. Hierzu kann an dieser Stelle nur - in erster Replik auf die von Herrn Dr. Raabe in seiner Abschiedsrede geäußerte Ansicht - auf folgendes aus dem Gemeingut der Soziologie hingewiesen werden: Der Mensch denkt, fühlt und sieht in seinem Arbeits-, Aufgaben- und Lebenskreis; er agiert rollengebunden. Der Blick der Leitungs-Richter ist immer wesentlich auf Verwaltungsbelange gerichtet; für sie ist eine Reform, die bisherige unsinnige Regelungen (etwa in der Mittelverwaltung) durch weniger unsinnige ersetzt und ihnen das Leben erleichtert, schon deshalb begrüßenswert. Die etwaigen Auswirkungen auf die spruchrichterliche Tätigkeit erscheinen demgegenüber schnell als theoretisch und allemal hinnehmbar. Zur Rechtfertigung reicht dann das (die dienende Funktion der Verwaltung unbemerkt in das Gegenteil verkehrende) Argument, ohne eine funktionierende Verwaltung sei die Spruchrichterschaft gänzlich aufgeschmissen, deren Verbesserung liege also in ihrem wohlverstandenen Interesse.

Die Konsequenz ist und bleibt, erst recht im dritten Jahr von JUSTIZ 2000, daß die gesamte Richterschaft, repräsentiert und organisiert durch den Hamburgischen Richterverein, eine eigenständige Antwort auf den Reformdruck von außen und auf die tatsächlichen Reformnotwendigkeiten finden muß.

Die Herangehensweise dürfte naheliegen:

1. Analyse der Situation, d.h.

a) Analyse der tatsächlichen Reformbedarfe

Die tatsächlichen Reformbedarfe sind in ihren Grundzügen längst bekannt. Freilich liegen sie nicht nur in einer Reorganisation des nichtrichterlichen Bereichs hin zu mehr Einheitssachbearbeitung. Auch der richterliche Bereich ist laufend auf Verbesserungsmöglichkeiten - insbesondere mit Blick auf Entwicklungen in der IuK-Technik - etwa hinsichtlich Arbeitsorganisation, Informationsbeschaffung und -verarbeitung zu überprüfen. Zur Klarstellung: Der Streit um das NSM geht (zunächst) mehr um die Methode als um die Inhalte der Veränderungen, nämlich um die Frage, ob die Richterschaft durch eine neue Struktur hierzu angeleitet (freilich dann auch weitgehend fehlgeleitet) und gezwungen werden soll, oder ob das Prinizip der einsichtsgeleiteten Freiwilligkeit beibehalten werden muß.

b) Analyse der Reformbedarfe im Sinne der veröffentlichten, politischen Meinung

Hierzu ist an den Beitrag von Frau Andreß auf der Mitgliederversammlung zu erinnern, die m.E. völlig zutreffend darauf hingewiesen hat, daß die Richterschaft bzw. die Rechtsprechungsfunktion in der Öffentlichkeit und in der Politik keine Freunde hat, daß "richterliche Unabhängigkeit" als störend und Schutzschild für Bequemlichkeit und Lebensfremdheit der Richter diffamiert ist und daß folglich der lebhafte Wunsch weit verbreitet ist, die Richter an die Leine zu nehmen. Das ist von erheblicher Bedeutung einerseits für das Verständnis von Zielrichtung und Reichweite der der politischen Reformansätze, andererseits für die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten.

c) Analyse des Reformkonzeptes der Justizbehörde

Die Prüfung muß sich auf das Gesamtkonzept beziehen, welches freilich aus einer Vielzahl von z.T. widersprüchlichen Äußerungen und Papieren zunächst ermittelt werden müßte. Besonders instruktiv sind dabei gerade nicht die Beschwichtigungsadressen an die Richterschaft, sondern die Darstellungen gegenüber dem Haupt-"Kunden" der Justizbehörde, nämlich gegenüber der Bürgerschaft (und der Finanzbehörde). Hier wird schnell deutlich werden, daß die Politik den Einstieg in eine umfassende Steuerung, d.h. zunächst Bewertung der Gerichtstätigkeit sucht. Nach der Schaffung von "Transparenz" wird es die Politik sein, die entscheiden will, ob Rechtsprechung "zu teuer" ist, welche Teilbereiche "effizienter" arbeiten könnten, welche anderen Verfahrensweisen zur Effizienzsteigerung angezeigt wären etc.

d) Analyse der Machtposition der dritten Gewalt

Diese Frage ist jüngst von dem niedersächsischen Justizstaatssekretär Dr. Litten gerade im Zusammenhang mit dem möglichen Widerstand gegen das NSM in den Gerichten aufgeworfen worden ("Hier stellt sich die Machtfrage") - damit wird in dankenswerter Klarheit von seiten der Reformer ausgesprochen, daß es ihnen nicht um einen Autonomiezuwachs der Gerichte, sondern um deren bessere Beherrschbarkeit geht. Anlaß für die Feststellung des Staatssekretärs könnte die Entscheidung des NRW-Staatsgerichtshofes gegen die Zusammenlegung des Justiz- mit dem Innenministerium gewesen sein, mit der die dritte Gewalt sich gleichsam selbst zur Geltung gebracht hat.

Von Interesse sind aber auch die Möglichkeiten der Gerichte bzw. ihrer Leitungen für eine aktive Öffentlichkeitsarbeit, beispielsweise eine gemeinsame Pressekonferenz aller Gerichtsleitungen, mit der einerseits die schädlichen Auswirkungen des NSM vor Augen geführt, andererseits die Stringenz und Effektivität eines eigenen Konzeptes vertreten werden könnte.

Sollte schließlich die Umsetzung des NSM so erfolgen, daß den Spruchkörpern ökonomische Vorgaben gemacht werden, so läge es in der faktischen Entscheidungsmacht der Richter, diese wirkenden Bedingungen auch zu benennen ("Für einen weiteren Termin / für die Berücksichtigung verspäteten Vorbringens reicht das Budget nicht") und jedenfalls dann auf das öffentliche Bewußtsein einzuwirken.

2. Grundsatzdiskussion über die Folgerungen

Die Weichenstellung hier liegt in der Frage, ob und ggfls. wieweit den öffentlichkeitswirksamen Forderungen an die Gerichte - in Abgrenzung zu dem tatsächlichen Reformbedarf - Rechnung getragen werden muß. Hält man es für unmöglich, der dritten Gewalt neues Selbstbewußtsein zu geben und dieses Selbstbewußtsein und seine Berechtigung auch wirksam zu "kommunizieren", dann wird man in der Tat Teile aus der von anderen definierten "Modernität" übernehmen müssen. Doch gerade bezogen auf derartige, politisch gewünschte Elemente wird man zu bedenken haben, daß sie schnell unabänderlich werden, daß es später heißen wird: "Das Rad läßt sich nicht zurückdrehen..." (vgl. auch DRiZ 1999, 126).

3. Entwurf von Konzepten

Abhängig von dem Ergebnis zu 2. sind grundsätzlich die unterschiedlichsten Lösungen denkbar. Grundanforderung an jegliches Gerichts-Konzept muß allerdings auch hier sein, daß es Recht und Gesetz genügt. Es wäre schlechterdings unhaltbar, wenn eine Institution, deren Daseinszweck die Sicherung der Rechtmäßigkeit ist, sich selbst nach dem Grundsatz einer "40-Prozent-Legalität" reorganisierte.

Immer dann, wenn Teile des Steuerungsmodells übernommen werden, wird die richterliche Unabhängigkeit angegriffen - mal mehr, mal weniger (auch die Verglasung des Richters durch eine Kosten- und Leistungsrechnung schränkt ihn ein und ist der Grundstock für weitergehende Steuerung). Hier wird insbesondere zu diskutieren sein, ob die Einschränkung durch einen Ausbau der kollektiven Unabhängigkeit der Richter gerechtfertigt werden kann - eine m. E. mit dem Sinn und Zweck des Art. 97 GG, die innere Unabhängigkeit des Spruchrichters (nicht des Verwaltungszusammenhanges Gericht) zu sichern, nicht vereinbare Konstruktion.

4. Präsentation und Durchsetzung eines Gesamtkonzeptes

Wahrscheinlich ist nur die Präsentation eines unverhandelbaren, geschlossenen Konzeptes angemessen, wenn dies auch langerprobter (gewerkschaftlicher) Vorgehensweise widerspricht, wonach man in einen Entscheidungsprozeß mit überschießenden Forderungen hineinzugehen hat, um am Ende annähernd das Gewünschte realisieren zu können. Nur eine solche Komplettlösung, die nicht zum Gegenstand von weiteren Tauschgeschäften gemacht wird, wäre aber mit dem Selbstverständnis der Richterschaft vereinbar, verantwortungsvoller Treuhänder des Rechtsstaates zu sein. Wer für Normenverbindlichkeit steht, der muß auch ein klares "Bis hierhin, und nicht weiter" durchhalten können.

Wer soll diese Arbeit (Vorarbeiten liegen bekanntlich vor) im einzelnen leisten? Grundsätzlich ist jede Kollegin und jeder Kollege zur Mitwirkung aufgerufen, da es um eine Entscheidung geht, die jede(n) einzelne(n), aber auch künftige Richtergenerationen betrifft. Reicht das bisherige Informationsangebot aus ? Könnte hier eine (erste) Mitgliederversammlung aktivierend wirken, sollen die Vorstandsmitglieder in ihre jeweiligen Bereiche hinein werbend und fragend tätig werden? Jedenfalls zu der Grundsatzfrage "Stillhalten oder Gegenhalten" muß ein breites Votum angestrebt werden.

Unzweifelhaft jedenfalls gilt: Das uns in der Berufspraxis selbstverständliche Postulat "Bedenke die Folgen" sollte in der Frage der Einführung prägend anderer Strukturen nicht ersetzt werden durch ein "Mitmachen - mitgewinnen", denn so würden wir nur verlieren !

Michael Bertram